Donnerstag, 17. Februar 2011

lvz kultur vom 17.2.11: Kinderkreuzzüge und Lesedünen. Abigail Jaye. Erich Loest. Berlinale

Evita ist schon wieder auferstanden. Bob Tomson und Bill Kenwright haben 2008 mit Abigail Jaye als Titelheldin eine Neuinszenierung unternommen. Dienstagabend feierte es Leipzigpremiere. Stimmlich stark und vielseitig und Kampfesalust verströmend – das ist Jaye, die eine Frau verkörpert, deren Ehrgeiz und Machtstreben so kalkuliert wie kühl wirkt, und dennoch als Ikone der fürsorglichen Wohltäterin gilt. Der angedeutete Heiligenschein durch einen einzelnen Scheinwerfer zeigt, wie sehr das Kalkül doppelt inszeniert ist: Im Leben wie im Musical. So nacherzählend, wie Insa van den Bug das Musical verhandelt, so kritiklos scheint das Musical diese Tatsache unter den Tisch kehren wollen.

Loest hat keinen neuen Roman sondern ein Tagebuch der vergangenen zwei Jahre veröffentlicht. In Ermangelung schriftstellerischer Konzentration traut sich der 85-jährige Erich Loest kurze gedanklichen Bögen, wie sie das Tagebuch erfordert, noch zu, kokett bezeichnet er das Buch allerdings als „Letztbuch“. Unwesentliche Anekdoten sind darin von Thomas Mayer ebenso versammelt wie die Tatsache, dass auch Loest 1944 noch Parteimitglied der NSDAP geworden ist. Milde in der Abrechnung sei geworden, kann sogar Kulturdezernent Faber noch etwas abgewinnen, und wenn es das Benimm einer Verabschiedung geht, bleibt athene. Umständliche Strukturveränderungen sind seine Sache nicht. Langweilige Filme gab es schon vorher.

Victor und Rudi who? Ein weiteres Mal ist auf der Berlinale ein Nazifilm geglückt, der bewusst auf dem Grenzgängertum zwischen Komik und Ernst balanciert – gekonnt. Anlässlich einer Michelangelo-Zeichnung, die dem einen Freund aus einem Museum hervorgeholt werden soll, reagiert das Berlinale-Publikum begeistert. Als kürzeste Distanz zweier Punkte nennt es den Mail? Den Rückweg? Der Rest dieser „Berlinale der miserablen Filme“ ist Schweigen. Seyfi Teomans „Our Grand Despair“ ist Kino für Gutmütige, langweilt, Rodrigo Morenos „Rätselhafte Welt“ ist langatmig und verquast.

Nach Agnes Kraus wird mit Herbert Köfer schnell noch ein weiterer „Volksschauspieler“ bejubelt, weil er 90 geworden ist. Auch ne Leistung. Für Statistiker: Er hat die erste und die letzte Sendung des DDR-Fernsehens moderiert, wie Jörg Schurig schreibt.

Der erste Superman, der „das Phantom“ hieß, war eine attraktive Mischung von Genres, i.e. Mystery- und Dschungelabenteuer. Künstlerisch habe heute in Deutschland die Comic mächtig aufgeholt. Was früher die Brüder Grimm mit ihren faszinierenden, gruseligen und mitunter grausamen Geschichten waren, sind heute oft die Comic. Selbst wissenschaftlich und ethisch zumeist on top. Chris Melzer hat sich für die lvz richtig warmgelesen.

Die Amerikanerin Debra Pearlman und der Leipziger Jürgen Raiber haben in Leipzigs Westen, das neuerdings auf Straßenschildern als Westkultur firmiert, zwei Ausstellungen eröffnet: Im Delikatessenhaus und in der Galerie Hoch & Partner. Während die Amerikanerin sich dem Thema der Kreuzzüge und insbesondere der Kinderkreuzzüge widmete, geht Jürgen Raiber „geradezu energisch gegen seinen eigenen Körper vor“, schreibt Meinhard Michael. Ihm gehe es um den menschlichen Korpus und seine Verletzlichkeit.

Eine witzige Leseperformance unter dem Titel Lesedüne fand in der Moritzbastei statt. Helden der zweieinhalbstündigen, „unglaublichen“ Stunden waren es, die witzig und poetisch, politisch und intellektuell einen Streifen nehmen können.

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