Mittwoch, 16. Februar 2011

Lvz kultur vom 16.2.11: Kerouacs „On the Road“ again. Jamel. Chailly. Globish.

Niemand weiß, wann die Neonaziszene auf dem Laufsteg der Medien Aufmerksamkeit erhält und wann nicht. Jetzt ist mal wieder die neue Kollektion einer rechten Geschichte im Umlauf. Nach Spiegel, ap, indymedia, und Stern hat sie auch Marcus Stöcklin für die lvz aufgegriffen. Immerhin: Die lvz bringt ein Porträt eines Dorfes in Meck-Pomm: Jamel. Fast glaubte man, der Name wäre der ihrer eigenen ägyptischen Partnerstadt. Doch er ist er selbst. Die erschreckende Geschichte: In Jamel entsteht Schritt für Schritt eine rechte Enklave. Haus für Haus werden von Rechten übernommen, bald ist niemand mehr da, der nicht der Neonaziszene angehört. Die Methoden sind brutal, gebrochene Nasenbeine, am Gartenzaun aufgespießte Hühner, tote Ratten im Briefkasten, patrouillierende Pick-Ups mit Scheinwerfern auf dem Dach entlang der Dorfstraße machen Jagd auf die paar verbliebenen Bürger. Dass ein ganzes Dorf weggemobbt werden kann, ist neu. Aber vielleicht wächst auch nur zusammen, was zusammengehört. Die neu hinzugezogenen Rechten und die Resignation der Arbeitslosen im Ort, ein aus Steuergeldern finanziertes Wahlkreisbüro der NPD und das, was man andernorts als Strukturschwäche bezeichnet: Die verkümmerten Reste eines staatlichen Gemeinwesens, eines auch ohne Braunkohleabbau oder Truppenübungsgelände einfach verlassenen Ortes. Ohne Überlebensperspektive. Wenn da nicht die jungen (oder alten) Rechten wären. Ob in Naschendorf, in Gägelow oder sonstwo – Jamel ist nicht allein.
Birthdayparty in der lvz: diesmal ists Agnes Kraus, Volksschauspielerin mit Charme, Chuzpe und Charakter, die heute 100 Jahre alt geworden wäre. An den Theatern hatte sie keinen Erfolg.Erst das Fernsehen der 70er Jahre entdeckte in der herben Mütterlichen die begnadete Alltags-Komödiantin. Ende der 80er Jahre zog sie sich zurück, vor 15 Jahren starb Agnes Kraus.
Riccardo Chailly stellte die Pläne des Gewandhauses 2011/12 vor. Benedikt Leßmann berichtet von acht Symphonien Beethovens in zwei Wochen, plus der Neunten zu Silvester. Jeweils kombiniert mit einer Neukomposition mit Rückbezug auf eine Beethoven-Symphonie. Was für Leßmann nur mäßig originell ist, dennoch, er erwartet dadurch eine Heranführung des Publikums an die Moderne, von der es bisher beharrlich wenig hält. Auch in der Repertoirepflege soll die gemäßigte Moderne ihren Platz haben: Riehm, Strawinsky, Berg, Schnittke und Saariaho sind einige Namen. Als Dirigenten werden neben Blomstedt und Masur auch Thielemann, Schirmer und Biller genannt. Was im Programm die Rückkoppelung des Neuen ans Alte darstellt, ist bei den Namen die Beruhigungspille des Alten bei der Präsentation des Neuen. Klingt alles in allem zu mutlos.
Jürgen Kleindienst beteiligt sich in „ausgepresst“ an der Nachfolgediskussion für Thomas Gottschalk. Nachdem Kulenkampff und Alexander ausgeschieden sind, bleiben nur die ewigen Kandidaten Pilawa, Kerkeling, Opdenhövel und Müller. Müller? „Selbstverständlich Zählkandidaten“, wie jkl meint. Nachdem er lange genug in Vorzimmern, Kantinen und Hallenser Messehallen zugebracht hat, kennt er nun die zwei aussichtsreichsten Kandidaten: Ein Moderatorencasting, selbstverständlich mit Raab, der aber nur Lena zulassen will. Und Maffay. Natürlich! Der kennt als Stammgast bereits Laufwege, Kantinenpersonal und Hunziker. Wer Maffay kennt, weiß, dass er zu radikalen Imagewechseln neigt: Wetten dass übernimmt er nur, wenn – von seiner Finca auf Malle gesendet wird.
Ein bisschen Spiegelfechterei wird derweil in Radebeul, dem Stammsitz der gefährdeten Landesbühnen Sachsen betrieben. Die Stadt erwartet Klarheit über die künftige Struktur der Bühnen. Soll heißen, wie häufig solle sie noch in Radebeul selbst spielen dürfen. Davon will OBM Wendsche abhängig machen, ob die Stadt die vom Land erpresste Summe von zunächst 300.000 Euro, später (2012) 600.000 Euro, zahlen will. Ob sie es kann, steht ohnehin auf einem anderen Blatt. Aber so sehen Opfer aus.
Jetzt ist sie tatsächlich auch auf Deutsch erschienen: Die unredigierte Originalfassung von Jack Kerouacs Roman „On the Road“. Nachdem bereits mit dem Comic „The Beats“ erste Tendenzen einer „Kindertauglichkeit“, einer Verharmlosung dieses Symbols für einen nicht nur literarischen Aufbruch des jungen „aufregenden, sympathischen“ Amerika einsetzten, ist die ungeglättete Version der Urfassung eine Rückkehr zur Radikalität der ursprünglichen, ruhelosen Suche nach sich selbst, wenn man Roland Mischkes Text folgt. Eines gelebten Traums, der auch den Alptraum mit umfasste, Grenzen ignorierte. Es ging nicht nur um das Coming-Out eines Schwulen, sondern um das Coming-Out einer ungebändigten Seele.
Noch in diesem Jahr soll es eine Verfilmung von „On the Road“ geben.

Norbert Wehrstedt hat auf der Berlinale endlich den ersten Favoriten für den Goldenen Bären erlebt: „Nader und Simin, eine Trennung“ von Asghar Farhadi (Iran). „Ein Drama um brüchige Moral und gestörte Beziehungen, Wahrheit und Lüge, mit vielen überraschenden Wendungen, psychologisch sehr behutsam und sozial sehr genau erzählt. Der Innen-Blick auf eine in Schichten gespaltene iranische Gesellschaft.“ Zwei weitere Filme wurden – wie Wehrstedt traurig feststellt – „von Herrn Langweiler (Béla Tarr) und Frau Peinlichkeit (Miranda July)“ inszeniert.

Maja Zehrt hat ein ein Festival im Festival beobachtet: Das Kinderfilmfestival „Generation“ im Rahmen der Berlinale. Arthouse für Vierjährige, ohne Berührungsängste. Themen wie Krieg in Iran, Terror in Peru, Superhelden, erste Liebe und Straßenkinder in Südafrika werden angeschnitten, auch eine filmpädagogisch betreute Vorstellung von Ingmar Bergmanns „Fanny und Alexander“ gezeigt. Zehrt beeindruckt: „Früh übt sich, wer ein echter Filmnarr werden will.“

Abermals Roland Mischke berichtet über das Phänomen des Globish. Einer radikal redizierten Variante der englischen Sprache. Die ohne Drumrum, fast ohne Grammatik auskommt. In Ägypten hat sich die Jugend überraschend als Globish-sprachige Generation entpuppt. „Mubarak must go!“ und „We want a democratic constitution“ sind Beispiele für das zur Einfachheit gewandelte Englisch. Auch typische Mail-Kürzel gehören zum Globish: „n1“ etwa steht für „nice one“, soll heißen „gut gemacht“. Mischke: „Globish hat die Welt erobert. Friedlich, aber in Befreiungskämpfen überdeutlich. Globish organisiert Menschenmassen.

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