Mittwoch, 2. März 2011

lvz kultur vom 2.3.11: Geplant: Leipziger Satire-Taskforce. Dimke. Zielinski. Petras. Hildi.

Drei Frauen an der Spitze Leipziger Universitäten und Hochschulen sind viele Extrameldungen wert. Und Interviews. Doch es bleibt dabei: Frauen werden gefragt, ob dies Zufall sei, von einer Frage an gewählte Männer, ob die Besetzung mit ihresgleichen eine bestimmte Bedeutung hätte, habe ich noch nicht gehört. Im Interview von Jürgen Kleindienst mit der neuen Rektorin der Hochschule für Grafik und Buchkunst HGB, Ana Dimke, antwortet die, es sei ein Zufall. Wenn auch ein positiver. Und dann der schlichte Satz: „Außerdem bedeutet es die Herstellung von Normalität.“

Was nichts anderes heißt, als dass die Norm Geschlechtergerechtigkeit heißt, auch wenn sie erst „hergestellt“ werden müsse. Doch der politischen Rhetorik verweigert sich die neue Rektorin scheinbar. Sie sagt zwar, dass es sich „für Frauen lohnt zu kämpfen“, denn vieles sei noch „ungerecht“. Doch ihr, die ein Ziel auf diesem Weg erreicht hat, sind nicht politische Leitlinien zentral, sondern die Vereinbarkeit von (eigenem) Beruf und (eigener) Familie. Sympathisch, klug und geerdet wirkt die 43-Jährige Dekanin der Fakultät Bildende Kunst an der UDK Berlin und derzeitige Geschäftsführende Direktorin des Instituts Kunstdidaktik und Ästhetische Erziehung in diesem Interview. Und wenn Jürgen Kleindienst sie mit fast etwas herablassendem Unterton darauf anspricht, dass sie „aus dem Bereich der Kunstvermittlung, der Didaktik und Pädagogik“ komme, perlt es zurück, dass „es nur ein gradueller Unterschied ist, ob man Fünfjährigen ein schwarzes Bild von Ad Reinhard nahe bringt oder einem Politiker die Konzeption einer Kunsthochschule erklärt.“ Wundervoll! Klar ist damit zumindest, wo ein Schwerpunkt von Ana Dimkes künftiger Arbeit liegen wird.

Für Norbert Wehrstedt ist die soeben verstorbene Schauspielerin Jane Russel vor allem Göttin, Vollweib, Traumfrau und Sexbombe gewesen. Ihre Biografie lässt sich für ihn am ehesten dadurch erzählen, dass sie bei einem Busenwettbewerb entdeckt wurde („96cm Oberweite“) mit welchen Regisseuren sie zusammengearbeitet hat und dass sie vor der Kamera „keine schlechte Figur im Sattel“ machte. Und – dass sie ein wundervoll zwiespältiger Mensch war. Von tiefer Religiosität, erzkonservativer Gesinnung und „flammende Gegnerin“ von Abtreibungen, die gleichwohl „kaum einer Versuchung widersteht“, sich in „lasziven Posterposen“ fotografieren ließ – und sich heftig darüber aufregte, wie ihre „Rundungen“ zur Schau gestellt wurden. Das kann Wehrstedt noch mit eigener Anekdote beglaubigen, denn bei der Berlinale 1991, die u.a. eine Retrospektive von Jane Russel zeigte, „versicherte“ ihm die „Sexgöttin“, dass Howard Hughes, Regisseur von „Geächtet“, ihr einen saumlosen BH schneidern ließ, den sie „empört ablehnte“.

Mit Gryphius' Gedicht „Alles ist eitel“, das nach dem Europa verheerenden Dreißigjährigen Krieg die Vergänglichkeit menschlichen Tuns beschrieb, bringt Jürgen Kleindienst in der Glosse „ausgepresst“ auf den Punkt, dass die Sängerin Nelly Furtado ihre Fähnlein nach dem Winde hängt. Als Dank für 45 Minuten Gesang erhielt sie von dem selbsternannten Revolutionsführer 2007 in einem italienischen Hotel eine Million Dollar – und möchte die nun, wo Gaddhafi „auf sein eigenes Volk“ schießen lässt und das erhaltene Geld einen Geruch annimmt, wieder zurückgeben bzw. spenden. Noch während sich Kleindienst auf der Suche nach einer Pointe dieser „kleinen Gedankenkleckserei“ in Form „einer wiesen blum“ macht (und nicht fündig wird), begreift er, dass auch dieses Ansinnen „nur Eitelkeit auf Erden“ darstellt. Und so verstummt er.

Zwei theatrale Beschäftigungen mit dem Fauststoff sind in den nächsten Tagen in Leipzig zu sehen. Eine „Zerreißprobe Faust“, am Theater der Jungen Welt, inszeniert von Jürgen Zielinski, und ein „theatraler Vortrag“ nach Schleefs „Droge Faust Parzifal“ von Armin Petras in der Skala. Nina May hat beiden ähnliche Fragen gestellt und druckt die Antworten nebeneinander ab.
Für Zielinski eröffnet die „Gretchenfrage“, wie der Doktor es denn mit der Religion halte, heute „zwischen Fortschrittdrang, Jugendwahn und einem ständigen Schneller Weiter Höher“ neue und alte Sinn- und Glaubensfragen, „gerade für das Jugendtheater“. Für Petras versteckt sich in der Gretchenfrage ebenso heutig die „Forderung der Frau an den Mann, für das gemeinsame Leben einzustehen.“ Identifikationskraft mit der Figur, vielmehr, eher mit dem Faust-Stoff, sieht Zielinski darin, dass „eine Suche, eine Reise“ wie die des Faust den Jugendlichen heute selbst bevorsteht, sie gleichzeitig ihr Eigenes mit dem für sie Fremden in Beziehung setzen können und sich dabei eine neue „Lust aufs Leben“ regen könne. Mit Goethe können beide Regisseure wenig anfangen. Während Zielinski große Ablehnung gegenüber der Goetheschen Sprache und ihrer Weitschweifigkeit konstatiert, ist für Petras die Tatsache, dass hier der männliche Hauptdarsteller eines Ensembles „auf eine junge Frau losgelassen wird, furchtbar langweilig“. Heute interessiert ihn nur noch der Punkt kurz vor dem endgültigen Scheitern, an dem Faust stecke. Ähnlich liegt auch für Zielinski die eigentliche „Zerreißprobe“ darin, dass der Stoff „auch eigene Begrenzungen offenlegt“. Typisch Deutsch ist der Stoff für beide Regisseure nicht, für Zielinski ist er „universell“, für Petras ein Stück „mittelalterliche Literatur, die auch von Autoren aus anderen Ländern aufgegriffen“ wurde. Und auch mit dem Faust-Erbe auf dem deutschen Theater wollen sich beide Regisseure kritisch auseinandersetzen. Der eine, indem er das „häufige Hinwegmogeln über die Tiefenauslotung mittels wirkungskräftiger Theatermittel wie Schall, Rauch und Blut“ aufspießt (Zielinski), der andere, indem er mit allen noch so abstrusen Thesen von Einar Schleef den Goethe-Text „sandstrahlen“ und mit der „Faust-Praxis an den Theatern“ abrechnen will (Petras).

Nach Kulturstaatsminister Bernd Neumann hat auch die designierte Kultursenatorin Hamburgs, Barbara Kisseler, eine Erhöhung ihres Etats durchgesetzt, statt sparen zu müssen. Sie hält etliche Institute ihrer Stadt, darunter mehrere historische Museen und das Schauspielhaus, für „bedenklich unterfinanziert.“

In Freiberg wurde Monteverdis Barockoper „Die Krönung der Poppeia“ inszeniert, allerdings mit zweifelhaften Mitteln („Wackelvideo“, Musiker, die der Partitur nicht gewachsen sind, so dass beinahe „nichts vorhanden ist vom letzten Meisterwerk“ Monteverdis, Solisten, die keine „Barockspezialisten“ sind, und eine Regie (Holger Pototzki), bei der „das Konzept stärker überzeugt als die Realisierung“). Warum die Zuschauer „einen schönen Abend im Theater“ verbracht haben, bleibt Boris Michael Gruhls Geheimnis.

Mark Daniel fragt sich, wie es nach der Oscar-Verleihung wohl mit Opossum Hildi weitergehen wird und kann mit Bestimmtheit nur eins sagen: „dass sich die Popularität des schielenden Kleintiers auf die insgesamt schwächelnde hiesige Kabarettszene auswirken wird.“ Zudem konstatiert der lvz redakteur, dass das weltweite Medieninteresse an H. seltsam kontrastiere mit dem „Abschlachten der Menschen in den arabischen Ländern“. Eine Satire-Taskforce ist aber laut Daniel bereits in Planung. Das lenkt das Auge beinahe unwillkürlich auf das nahe Ende H.s, doch hier vermag er dem Plastinator-Team um Gunter von Hagen vorerst wenig Chancen einräumen, erkennt Daniel doch zu Lebzeiten des Albinos ganz andere Verwertungsabsichten bei Zoochef Jörg Junhold (Neue Serie auf RTL: Zoff im Leipziger Zoo - Lama Horst soll Opossum Hildi die Augen verdreht haben). Wir bleiben am Ball.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen