Dienstag, 15. März 2011

lvz kultur vom 15.3.11: Ängste, Träume, Hoffnungen. Lynch. Terzakis. Schulz & Schulz.

Zwei Amerikaner fahren durch Deutschland, hoch und runter, kreuz und quer, und suchen Menschen. Menschen, die mit ihnen sprechen wollen, die sie fragen können, die antworten wollen. Es sind Austin Lynch und Jason S. Sie interessieren sich für die Ängste, Träume und Hoffnungen der Deutschen. Die beiden Filmemacher aus New York stellen für ihr "Interview Project Germany" zufällig ausgesuchten Menschen einfache Fragen: „Wie war deine Kindheit?“, „Was war das einschneidendste Erlebnis in deinem Leben?“ oder „Worauf bist du stolz?“, reagieren aber spontan auf die Menschen, die sie aussuchen. Eine Stunde lang sprechen sie mit ihnen über ihr Leben, ihr Erfolge, Niederlagen, Wünsche. Viele, darunter Rentner, Arbeitssuchende, Teenager, Verlassene, haben harte Schicksalsschläge hinter sich. Es entsteht eine Reihe etwa 5-7-minütiger Kurzfilme fürs Internet mit den „wichtigsten Aussagen“. Lisa Förster, lvz redakteurin, schreibt: „Für die Befragten ist das Interview-Projekt mehr als nur eine Art Vermächtnis an die Nachwelt. Viele hätten sich überhaupt zum ersten Mal jemandem geöffnet, sagten die Regisseure.“ Vielleicht war's ja anders. Vielleicht hat sich zum ersten Mal jemand für sie interessiert? Ihnen zugehört? Vielen Menschen fehlt zunehmend die Sprache. Und oft ein Gegenüber. Selbst im Sportverein wissen viele, die seit Jahren, manchmal Jahrzehnten miteinander spielen, nichts besonderes von ihren Mitspielern zu berichten. Man verbringt Zeit miteinander, ja. Über Schwächen wird sich lustig gemacht. Das ist rauher Humor. Aber fördert keine privaten Gespräche. Umso schöner ein solches Projekt. Den Roadtrip wollen die beiden Amerikaner gerne in anderen Ländern fortsetzen. Sponsoren gesucht!


In Chemnitz hat der emeritierte Kompositionsprofessor der Hochschule für Musik und Theater, Dimitri Terzakis, „ein wunderbar nostalgisches Stück neues Theater aus dem Niemandsland zwischen Dia-Vortrag, Melodram und Oper“ gezogen. In "Die Irrfahrten des Odysseus" wird Terzakis' „neoarchaische“ Musik mit einer „Laterna Magica Performance“ versehen, mit Illustrationen vom Beginn des Industriezeitalters, gleichzeitig male seine „kunstvoll schlichte Musik“ die Texte „klangsinnlich aus.“ Was von der Musik zu halten ist, von den Lichtbild-Illustrationen, dem Erzähler, der Sängerin – Peter Korfmacher ist jedenfalls beeindruckt. Wenn sie dermaleinst in Leipzig spielen sollten, würde sich Peter K glatt ein weiteres Mal die Vorstellung besuchen. Zu der übrigens auch Werke von Giorgos Kyraikakis gehören, vom Jugendkammerorchester der Städtischen Musikschule Chemnitz "fabelhaft" gespielt.

Als kleines Abfallprodukt schreibt Peter Korfmacher die Glosse „ausgeräumt“ und betont, den Olivier Award 2011 in der Kategorie „Beste Operninszenierung“ bekomme das irische Ensemble OperaUpClose. Es inszenierte Puccinis Bohème in einer Kneipe (Cock Taverne in London) vor 35 Zuschauern, natürlich ausverkauft. Die Oper Leipzig ist neidisch, hat die Zeichen der Zeit erkannt und schmeißt bereits ihre ersten Stuhlreihen raus. Vielleicht sollte sie sich die Mühe garnicht machen, stattdessen einfach in die Geschäfte, Museen, Kneipen, auf die Straße gehen. Sprengt die Opernhäuser in die Luft, rief Boulez damals. Soll'n sie doch einfach raus aus den alten Klitschen. Auf den Bühnen ist ohnehin nur Moder.

Und eine weitere Kritik schreibt Peter Korfmacher, diesmal eine Ausstellungsbesprechung. Die beiden in Leipzig ansässigen Architekten Schulz & Schulz sind längst deutschlandweit tätig. Einfachheit und Selbstverständlichkeit seien die zentralen Kategorien, in denen sich die Entwürfe der beiden Schulzes finden werden, schreibt Annette Menting in einer soeben erscheinenden Werkmonografie "Schulz und Schulz. Architektur". Doch Korfmacher fehlt überraschend das Vokabular zur Architektur-Besprechung, etwas wie Beschreibung oder Beurteilung ohnehin. Am Ende kommt der kulturchef sogar mit der recht flachen Erkenntnis daher, dass „Form und Material, Raum und Nutzung, Umfeld und Tradition aufgehen in der baulichen Qualität und Schönheit., die ohne Zutat und Chichi aus sich selbst schöpft.“ Solche Schönheit hat man lange nicht gesehen. Doch die Begriffe und Beobachtungen sind allesamt aus Mentings Buch geborgt. Keine Kunst also. Bei Korfmacher. Nicht bei Schulz und Schulz.

Ein Text, dessen Einordnung schwerfällt. Angela Krauß schreibt mit „Im schönsten Fall“ eine Collage, die Wissenschaft und Naivität mischt. Ein einziger Gedankenfluss ist, bei dem mit „Strömungen mathematischer Philosophie“ gespielt wird. Angela Krauß sucht nach einem verbindlichen, allgemeingültigen Plan, eine hohe Ordnung, Strukturen. Karel sucht die Weltformel und begibt sich in Konkurrenz zu Einstein und Heisenberg. Seine Frau, Grafikerin, versucht der „der Schöpfung und ihrer Schönheit so nah wie möglich zu kommen“. Kai Kollenberg meint, der handlungslose Textfluss sei nicht eben leicht zu lesen, „halle aber umso länger nach.“ Wer allerdings eine Antwort auf den „Kampf zwischen Ratio und Gefühl“ erwarte, wird enttäuscht. Die gibt’s nicht. Stattdessen Hadern und Zögern. Auch vor der Liebe. Schließlich flieht die weibliche Hauptfigur: „Am Ende dieses Jahres habe ich Karel dreizehnmal gesehen. Dreizehn Mondzyklen ergeben 364 Tage. Ich habe Karel 364mal geküsst. Das Weltall ist asymmetrisch und zyklisch: die Liebe ist weder das eine noch das andere.“ Welches Glück.

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