Samstag, 5. März 2011

lvz kultur vom 5.3.11: Theaterstück des Jahres: Kleists Selbstmord. Hecht. Stammkötter. Zielinski.

Daniel Hecht. Ein Student noch. Darf der das? Den so gar nicht angesagten Expressionisten rauskehren? Weder der Leipziger noch der konzeptuellen Schule folgen? Vielleicht gar einen neuen Trend vorausahnen? Als Maler, heiter wissend, frontal den Zuschauer betrachtend, sich selbst auf Augenhöhe und beinahe Arm in Arm mit Gevatter Tod porträtieren? Eine beinahe TriegelscheSelbstüberhöhung als Erlöser andeuten? Als Jude dem Grundtopos des Antisemitismus, dem Vorwurf, Christusmörder zu sein, Nahrung zu geben? Die neue Leipziger Galerie Naehring in der Lützner Straße, schräg gegenüber dem Tapetenwerk, startet fulminant, Jens Kassner zeigt sich leicht verunsichert, zumal noch keine große Ausstellung den Maler beglaubigt, kein Name, kein Meisterschülerbonus, der sticht. Immerhin: Die erste Ausstellung einer Galerie mit (Wage-)Mut („Avantgarde“) und Absichten (noch mehr „Avantgarde“).


Über einen Leipzig-Krimi mit begrenzter literarischer Reichweite berichtet Hartwig Hochstein. Es ist Andreas Stammkötters „Messewalzer“, sein fünfter Krimi mit Lokalkolorit. Die Messlatte scheint auf Höhe der „bunten Kneipenszene“ Leipzigs und einem bildschönen Mord auf der Lesebühne bereits ihren höchsten Punkt erreicht zu haben. Da hilft selbst ein die DDR-Vergangenheit aufarbeitender Stasistrang nur begrenzt weiter. Ansonsten machen es nicht nur Szenen „wie aus einem Action-Thriller“ zum Erfolgsbuch, passend zur Buchmesse herausgegeben.

An seinem 200. Todestag ist von Heinrich von Kleists und Henriette Vogels Doppelselbstmord vor allem Kleists Zeile an seine Schwester geblieben: „ Die Wahrheit ist, dass mir auf Erden nicht zu helfen war.“ Dass beide ihre Todesstunde voll Heiterkeit regelrecht inszeniert haben, schon weniger. Als „Meister des Scheiterns“ galt und gilt Heinrich von Kleist (sein "erstes wirklich beachtetes und diskutiertes Stück war sein erweiterter Selbstmord") und heute darf Kulturstaatsminister Bernd Neumann das Kleist-Jahr feierlich in Szene setzen. Kleists theatrale Meisterschaft ist unterdessen anerkannt, den Kulturbetrieb werden aber auch weitere Tagungen, Biografien, Ausstellungen und sogar ein Kleist-Festival schmieren. „Seine Texte sind nicht zu fassen“, schreibt Ronald Meyer-Arlt und freut sich darüber. „Deshalb faszinieren sie so.“

Die „düster-elementare Stimmung“, die Regisseur Jürgen Zielinski passend zum Faust-Mythos die Bühne beherrschen lässt, hat es auch Nina May angetan. Doch damit ist auch das Positive beinahe erschöpft, das die lvz redakteurin in der Deutschsprachigen Erstaufführung von Oscar van Woensels „Zerreißprobe Faust“ sehen mag. Hinzu kommt noch Lob für die Bühne Fabian Golds (u.a. die „eindrucksvolle Drehbühne im Feuerkranz“) und das Bemerken einiger „Lacher des jugendlichen Premierenpublikums“, wenn Mephisto und Faust amüsante Streitigkeiten ausfechten. Unberührt haben sie demgegenüber all die vielfältig beschworenen, heftigen Emotionen gelassen. Sie bleiben „behauptet, nur aufgesagt“. „Das Risiko, sich selbst zu verlieren“, nehme man „den Spielern nicht ab.“ Auch „Bachs Musik“ zaubert kein „wahres Gefühl herbei“. Eine „konfuse Szenenaneinanderreihung“ lasse nur ein Gefühl beim Betrachter entstehen: dass „der Abend verläppert.“ May ernüchtert: „Auf eine Zerreißprobe stellt das alles den Zuschauer eher nicht.“

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