Montag, 7. März 2011

lvz kultur vom 7.3.11: Professionalität und Rest-Charme. Konwitschny. Minogue. Böhmer.

Wenn Kinder spielen, werden aus Barbies oft wirkliche Menschen mit Konflikten, die den Kindern aus der Realität oder ihrer Fantasie bekannt sind. Wenn in Peter Konwitschnys Inszenierung von Mozarts „Così fan tutte“ die jungen Frauen Fiordiligi und Dorabella ihre Geliebten in Playmobilsoldaten verwandeln, mit denen sie spielen, wie es ihnen gefällt, dann ist das vielleicht pubertär und sicher das Gegenteil eines Kinderspiels. Die Sehnsucht nach einer Spiel- und Traumwelt aus Playmofiguren und Rokokopüppchen gibt es für Konwitschny nicht nur in Berlin, sondern auch in Leipzig. Daher hat er seine Inszenierung aus der Komischen an die Oper Leipzig umgesetzt. Das könnte wenn schon nicht die Kritiker, dann immerhin die Leipziger Operngänger interessieren. Bei Benedikt Leßmann kommen die Zuschauer allerdings nur mit einem einzigen Wort vor: „Applaus.“ Das lässt tief blicken, wenn auch von Buhs nicht einmal die Rede ist. Hat Leipzig bereits mit Konwitschny abgeschlossen? Oder hat ihnen die nur „vordergründig Spaß und Heiterkeit“ vorgaukelnde Inszenierung nicht zugesagt? Konwitschnys „intelligente“ Regie mit einem „fabelhaften Ensemble“ unter „souveräner Leitung“ von Andreas Stoehr zeigt offenkundig, wie man aus einem der 50 totgenudeltsten Opern des gängigen Repertoires doch noch eine lebendige Lesart für heute ziehen kann: Statt die Welt zu erklären oder anzuklagen, wird sie einfach umarmt: „Wir heiraten uns jetzt einfach alle“, beschließen die jungen Leute. Die Welt in solcherart spöttischen Schwebe auszuhalten scheint nun dem Publikum aufgetragen zu sein.


Mathias Wöbking hätte wohl nur zu gerne den Steigbügelhalter des „goldenen Flügelpferdes Pegasus“ gespielt, auf dem Kylie Minogue ihm entgegengeritten ist, wie er sich einen Tag später zu erinnern glaubt. Oder war es doch nur seine Fantasie, die ihm und 5500 weiteren jubelnden Zuschauern bei ihrem Auftritt als „Aphrodite in der Arena Leipzig einen göttlichen Streich spielte? „Verwirrung umkreist mich, ich bin in diesem Trugbild verloren“ zitiert der lvz redakteur die 1,53m große Göttin des Dance-Floors, und scheint gar selbst von einem Pfeil Amors getroffen zu sein. Der Rausch der Bilder aus „antiker Mythologie, Karneval in Rio, Moulin-Rouge-Frivolität und Synchronschwimmen“, erotisch aufgeladen nicht zuletzt durch die Diva selbst inmitten einer „postmodern-klassizistischen Bühnenkonstruktion“, macht für Woebking aus der hemmungslosen Kolportage „etwas beeindruckend Eigenes.“ Zudem die Minogue ihre (Bühnen-)Welt nicht allein mit standardisierter Professionalität füllt, sondern „sich einen Rest-Charme bewahrt“ hat. Da er nicht vorhat, über all das Erlebte das Füllhorn der (Pop-)Kritik zu schütten, schließt er seinen Artikel sichtlich bewegt: „Da kann einem weiß Gott Ärgerlicheres passieren.“

In Jürgen Kleindienstsausgepresst“ unter dem Titel „Großes Kino“ kann sich der lvz redakteur nur noch resigniert lustig machen über die immense Fallhöhe zwischen den Blitzen, die die Götter früher ausgesandt haben, wenn sie etwas Wichtiges mitzuteilen hatten, und den Videobotschaften per Podcast, in denen heutige (Polit-)Götter etwas Bemerkenswertes zu verbreiten wünschen. Sachsen-Anhalts MP Böhmer jedenfalls hat in seiner „vermutlich letzten Videobotschaft“ die Kulturförderung zum Thema gemacht. Doch mehr als die Botschaft, die Theater mögen doch bitteschön „mehr Kreativität“ walten lassen bei dem Ziel, die Häuser zu füllen, sprich: mehr Eigeneinnahmen zu erzielen, hat er nicht mitzuteilen. Danach folgt der Ansatz einer Drohung. Nur gut, dass die Wählerquote keine Einbußen bei der Sitzverteilung der Mandatsträger zur Folge hat, nicht, Herr Böhmer? Wie man es übrigens mit wahrlich mächtig geschrumpften Schauspiel- und Opernzuschauerrängen schafft, das kleine Kinder- und Jugendtheater (Thalia Theater) zu schließen (das darf man dann sicher als Umwegrentabilität im Sinne der 'wichtigeren' Sparten bezeichnen), dessen Problem nicht so sehr die leeren Stuhlreihen waren, als ignorante Theaterleiter, Oberbürgermeisterinnen und Landespolitiker, ist final in Halle/Saale zu beobachten. Als kleinen Morgengruß an die selbstvergessenen Politiker würde Kleindienst mit seinen Kontakten Böhmers Video sogar Unterstützung bei einer Bewerbung für die Werkleitz-Biennale in Halle angedeihen lassen. Allerdings schließt er leicht süffig mit einem Satz, der so klingt wie „Und wenn sie bis dahin nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.“

In Italien häufen sich die Meldungen über Protestaktionen gegen geplante Kulturkürzungen. Berlusconis Regierung hatte letzten Sommer beschlossen, im Kultursektor 280 Mio. Euro einzusparen. Das immerhin hat der deutsche Kulturminister Bernd Neumann, wie in seinem Interview mit der lvz vom 1.3. nachzulesen war, bisher vermeiden können. Sein (Bundes-)Etat sei sogar in der Krise weiter gestiegen. Doch abseits der Repräsentativkultur sieht es auch in Deutschland äußerst mau aus. Siehe nur zum Beispiel den „ausgepresst“-Artikel oben. Nun haben es die Zeitungen leicht, mit dem Finger zu zeigen (und verringern oftmals den Kulturteil ihrer Zeitung im gleichen Stile wie die Kommunen und Länder ihre Einrichtungen).

Fakt ist doch, dass die (Kultur-)Politik viel zu lange der Wehrlosigkeit (verbunden mit Egozentrik und/oder Mittelmäßigkeit) ihrer Intendanten vor Ort sicher sein konnte. Verödete Städte sind aber das letzte, was eine Kommune interessant macht, weder für die Bewohner, noch für Gäste. Die wirtschaftsradikale Gehirnwäsche, gut sei nur, was möglichste Privatisierung zur Folge habe, hat die Köpfe nicht nur von Politikern vernebelt. Die allerorten durchgeführten Kürzungen stellen im Gegenteil eine komplette Sackgasse dar. Was nicht gegen zu beantwortende Strukturfragen spricht. Aber die Geringschätzung eines für die Zukunft bedeutenden Arbeitsfeldes innerhalb Deutschlands, in dem Menschen mit vielen Jahren Ausbildung und beeindruckendem Können (man lasse doch nur mal den Respekt, ja, Neid anderer europäischer Länder auf sich wirken) in ihrem Leben nicht 3000 Euro brutto verdienen, ist allmählich grotesk. Und die Medien tragen mit ihrer Art der Ignoranz dazu bei, indem der Kulturdiskurs, der verantwortlich fast nur noch in wenigen überregionalen Medien erfolgt) nahezu vollkommen an den Lesern von Regionalzeitungen vorbei geführt wird. Also beim eigentlichen Zuschauer nicht ankommt. Am Ende führt es doch nur dazu, dass Politiker vom Schlage eines Böhmer (siehe oben) nichts anderes dazu einfällt, als die Theaterleiter zu vollen Rängen aufzufordern. Dass damit nicht einfach gemeint sein kann, häufiger „Pension Schöller“ oder „Cosí fan tutte“ zu spielen, ist wohl klar. Der Teufelskreis dreht sich nur schneller, wenn man sieht, wie viel Zeit Theaterleiter mittlerweile mit Sitzungen, Networking und PR verbringen müssen, statt sich kreativ Lösungen einfallen zu lassen, die einem Publikum von heute das Theater näherbringen und nicht nur Repräsentationskultur mit viel Geld für angeschaffte Touristen (Semperoper) bedient, und damit einem weiten Publikum einfach eine komplett falsche Vorstellung von zeitgemäßer Kultur vermitteln. Oder via Statistiken faule Politiker auf die Spur setzen, die Eigeneinnahmen von Semperoper und Oper Leipzig kurzzuschließen und süffisant Forderungen nach höherer „Quote“ abzuleiten.

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