Freitag, 4. Februar 2011

lvz kultur vom 4.2.11: Herrscherfamilien, die Mitleid verdienen. Bascha Mika. James Last. Traetta.

Selten wurde so deutlich, dass der Markt zu einem guten Teil pure Erpressung darstellt. Beim Vergleichsvertrag des Wettiner Adelsgeschlechts mit dem Freistaat Sachsen, etwa 300 wertvolle Porzellanstücke betreffend, vermag sich der Erpresste allerdings sogar darüber zu freuen, dass er so billig davongekommen ist. Der Stolz, nicht käuflich zu sein, weicht dem Stolz, sich jetzt mit einer wundervollen Sammlung Porzellans brüsten zu können, die künftig allen Touristen bestätigen, dass ihr Dresdenbesuch, besonders der im Zwinger, einfach wunderschön gewesen ist.
4,2 Mio. Euro kostet der Spaß. Jetzt ist die Sammlung unser. Und wird nicht bei Christie's in London an privat versteigert. Das Geld hilft einem mittellos, ärmlich zur Miete wohnenden Adelssprößling über die letzten Erdenjahre. Wer weiß, ob der 76-Jährige und seine Schwester noch erleben werden, dass weitere Erpressungs-, äh, Entschädigungssummen (für Bücher, Möbel, Gemälde) auf seinem Konto eingehen werden. Immerhin, 2012 sollen die Lösegeldverhandlungen zu Ende sein, schreiben Thomas Mayer und Jörg Schurig.

In seinem Leitartikel, in dem Dirk Birgel über eine dicke Porzellan-Kuh beim Eislaufen schreibt, schließt der redakteur der dresdner neusten nachrichten: „Man mag bedauern, dass die 4,2 Mio. Euro nun ausgerechnet jenen Nachkommen zufallen, die sich mit Ausnahme von Prinz Alexander am wenigsten um Sachsen verdient gemacht, und die als Karikatur einer einstigen Herrscherfamilie eigentlich tiefstes Mitleid verdient haben.“ Als Ausgleich und Dankeschön für 829 Jahre Wettiner Herrschaft in Sachsen kriecht Birgel ganz untertänigst zu Kreuze und befindet: Die 4,2 Mio. seien dafür „ein Klacks“.

Ob in 799 Jahren die Nachkömmlinge des Mubarakgesindes auch so dankbar sein werden? Was sind schon 30 Jahre Herrschaft der trotzdem schon versteinerten ägyptischen Mumie H. M.? Der alte Mann erpresst nun verarmte, würdelose Männer, damit diese mit Eisenstangen, Prügeln und Gewehren gegen die aufbegehrenden Menschen vorgehen und dem alten Mann erlauben, an seiner pharaonenhaften Macht festzuhalten. Die Deutsch-Ägypterin Gaby Habashi glaubt trotzdem nicht daran, dass sich Mubarak halten kann. „Was wir erleben, ist ein Aufstand des ganzen Volkes gegen ein Regime, das keinen Rückhalt mehr hat. Es gibt sehr viele Bürger, die einfach keine Angst mehr haben.“ Und diese Menschen würden auch kein Diktat der Muslim-Brüder, keinen Gottesstaat akzeptieren, sagt Habashi im Interview mit lvz redakteur Kostas Kipuros.

Vom Mut zur Feigheit. Die lvz kultur macht mit einem Bericht über das jüngste Buch der früheren taz-Chefredakteurin Bascha Mika auf, „Die Feigheit der Frauen“ betitelt. Jutta Rinas schreibt über den „kämpferischen Beitrag zur aktuellen Gleichberechtigungsdebatte“, dass Bascha Mika den Frauen darin „eine gehörige Portion Mitschuld“ daran gibt, dass sich ihr Geschlecht in der Männergesellschaft nicht adäquat durchzusetzen vermag. Sie machten sich zu schnell „zu Komplizinnen“ des Systems, machten sich viel zu schnell „abhängig“, nicht zuletzt von einem Partner. Das beginne mit der „Modelzucht“, die „kleine Mädchen für die Rolle als Mutter und (Teilzeit-)Hausfrau 'zurichtet'.“ Mika kritisiert die „Pest aus Pink“, bei der „eine ganze Spielzeugindustrie Mädchen auf eine Frabe trimmt und damit ein Rollenmuster verfestigt“: Das der „schönen Prinzessin, die auf den Prinzen wartet statt selbst zu regieren.“
Frauen finden kein dem männlichen „einsamen Wolf“ vergleichbares Rollenmodell vor, und schließlich würde Frauen noch der Mythos der „angeborenen Mutterliebe“ eingetrichtert. Mit dem Kinderpsychologen Bruno Bettelheim meint Mika, dass es „natürlich keinen mütterlichen Instinkt gebe“, auch wenn Bettelheim dieses „letzte Bollwerk“ nicht öffentlich in Frage stellen wollte. Bascha Mika will. Rinas zeigt sich zwar beeindruckt von Mikas Exkursen und „brillant geschriebenen Analysen der Verhältnisse“, hält ihr gleichwohl vor, dass sie „zu wenig Alternativen aufzeigt.“ Sie glaubt nicht daran, dass nach „Mikas flammendem Aufruf für mehr Emanzipation alle Frauen zu Heldinnen des Geschlechterkampfs“ werden. Stattdessen plädiert sie – „zur Frauenquote und zu verbesserten Arbeitsbedingungen von Frauen durch eine bessere Kinderbetreuung.“

Norbert Wehrstedt leidet. Er leidet mit Maria Schneider, der ein Film zum Fluch wurde. Es geht um den Film „Der letzte Tango von Paris“, in dem ein älterer Mann nach dem Tod seiner Frau Halt bei der von Maria Schneider verkörperten Frau findet – und Sex. Während die Darstellung der Ängste des alternden Mannes und der Analverkehr mit der jungen Jeanne Marlon Brando zu Weltruhm verholfen haben, hat Maria Schneider ihre Rolle fast ausschließlich Angebote für „lüsterne Eroticals“ eingehandelt. Alkohol, Drogen und psychische Probleme haben die Schneider krank gemacht; dass sie 1976 aus den Dreharbeiten zu Bertoluccis Revolutions-Epos „1900“ ausgestiegen ist, wohl endgültig den Karriereweg versperrt. Nach langer Krankheit starb Maria Schneider mit nur 58 Jahren.

Leonardo da Vincis „Mona Lisa“ war weder schwanger noch krank, sondern ein Mann. Das hat die neuste Forschung herausgefunden – und Janina Fleischer in „ausgepresst“ zu der Äußerung gebracht, „lieber Mann als magersüchtig.“ Es geht also alles noch schlimmer.

Mit 38 Mann Verstärkung und der Show „Musik ist meine Welt“ wird James Last die Arena Leipzig erobern. In einem gut gelaunten Interview des Erfinders des „Happy-Sounds“ mit Jürgen Kleindienst nörgelt James Last noch darüber, dass überall „wirklich unglaublich viel gequatscht“ wird, statt einfach „mal ein Programm durchgezogen“, bevor er eine wahre Lobeshymne auf Eminem („seine Wucht“ und „wie er reinhaut“) und Rapper, die „wahre Geschichten erzählen“, singt. Das „macht mich an.“ Von Kleindienst gefragt, wie sein Tourtag „zu Ende geht“, meint Last, an der Hotel-Bar, die reserviert wird, und wo sie „noch was spielen“, bevor seine Frau sage, „Hansi, wir müssen jetzt ins Bett.“ Kleindienst: „Und?“ Last: „Dann geht’s ins Bett.“

Zwei Elogen über außergewöhnliche Musiker sind noch zu finden: Peter Korfmacher berichtet über den honduranischen Komponisten Marlon Herrera, dessen Musik („kühn Klassik, Jazz und Tango verzahnend“) in Honduras nicht mehr gespielt werden könne, seit das einzige Theater mit eigenem Orchester wegen Sparmaßnahmen geschlossen worden sei. Und nun im MDR-Probenwürfel aufgeführt wird, neben Musik von Nicolás Prada Diaz, Stefan König und Chick Corea.

Und Gerald Felber weiß sich vor Verzückung gar nicht mehr einzukriegen, wenn er die Aufführung von Traettas Oper „Antigone“ in der Staatsoper Berlin („nicht mehr als fünf Vorstellungen!“) schildert, einem Stück, das mehr Aufmerksamkeit verdiene als manches Wagner-Großprojekt. „Berlin als Ausgangspunkt einer Traetta-Renaissance – das wäre mal ein schöner Traum, dem es wahrscheinlich gehen wird, wie den meisten Träumen.“ Musik, noch dichter und pulsierender als Gluck, ein Energiestrom. In den Rollen u.a. eine „intensivst gestaltete Counterpartie“, die aus ruhiger Gelassenheit zur wilden, auch stimmlich extrem zupackenden Rebellion wächst, und noch mehr Lobeshymnen. Felber schließt: „Schnell nach Berlin, ehe es zu spät ist!“

Jörg Augsburg führte wieder eines seiner profunden Interviews, heute mit Thorsten Seif über das Independent-Label Buback. Aus dem Label gastieren vier Bands „zwischen System-Rebellion, Pop-Philosophie und Indie-Radau“ im Centraltheater. Zur Mode, Konzerte in Theater abzuhalten, meint Seif, „Zum eines gibt's die generelle Annäherung der Institution Theater an die Popmusik, als Versuch einer Art Verjüngungsprozess“, außerdem würden viele Musiker wie Schorsch Kamerun oder Ted Gaier von den Goldenen Zitronen „viel am Theater machen. Für die ist das ein so normaler Kontext geworden, wie es früher das AJZ war“. Und das Theater bezahle auch besser als das Conne Island. Heute also Konzert im CT mit Kristof Schreuf, F.S.K., 1000 Robota und den Goldenen Zitronen.

1 Kommentar:

  1. Zufall oder Absicht? Aber ich finde, dass der Absatz über Maria Schneider wunderbar-tragisch als Illustration der Bascha-Mika-Rezension (?) fungiert.

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