Freitag, 8. Oktober 2010

lvz kultur vom 08.10.10:Streiflicht in der lvz, 50 Jahre Opernhaus & Biganzolis Meistersinger

Was für ein Glück. Dachte schon, die lvz schwächelt, als gestern bis weit nach Mitternacht keine Zeitung online ging. Ob die Buchmesse alle besoffen macht? Der Literatur-Nobelpreis? Die Vorfeiern zum 50. Opernjubiläum? Nichts da. Alles ist wieder gut in am digitalen Vorfreitag. Oder fast. Denn der Berg kreißte und presste, naja, einen tollen Artikel aus: Er ist von Jürgen Kleindienst, diesmal in der Rubrik, die auf gut sächsisch "Halogenscheinwerfer" heissen könnte, solange die lvz das Licht weiterhin nicht in Streifen fallen lassen will. Wie sich jkl über den Islam, seine Besitzergreifung Deutschlands bei gleichzeitiger Verweigerung von Bratwurst-, Sauerkraut- und Grundgesetzeinnahme hermacht, verhält sich zu jeder sarrazinesken Argumentation wie ein Meeresleuchten zu 6V-Taschenlampengefunzel.
Der Rest des lvz kulturteils flacht leider ab.
Skurril der Bericht über die Vorfreude auf den 50. Operngeburtstag, den Stephanie Olivia Schreier in ihrem Text über das Ehepaar Langhammer verfasst. Als eine der wenigen "Zivil-Zuschauer" erlebten die Werktätigen Thea und Günther, sie in cremefarbenem Kleid mit goldenen Fäden, er im Smoking, die damalige Eröffnung des neuen Opernhauses mit Wagners "Meistersinger" und parkten seinerzeit ihren nagelneuen Trabant in einer Reihe mit den Regierungskarossen. Heute, wo die Menschen "in Blaumann" und in "Tennisschuhen" statt Politbürozwirn die Oper besuchten, wären ihnen die Aufführungen vergällt.
Passend zu dieser erhebenden damaligen Erfahrung schildert Thomas Mayer, wie am 9. Oktober 1960 die Eröffnung der Oper vonstatten ging. Generalintendant Karl Kayser etwa trug ein Gedicht aus der Feder Max Zimmerings vor, Gewandhauskapellmeister Franz Konwitschny verglich die phantastische Akustik der Oper mit dem Resonanzboden einer Geige und Theater-Professor Hans Rodenberg fragte rhetorisch, ob "irgendjemandes Phantasie ausreichte, sich vorzustellen, dass nach einem solchen Bau Konrad Adenauer Bauarbeiter einladen könne." Wahrlich nicht, aber Rodenberg selbst wohl auch nicht, denn diese Geste scheint ebenso berichtenswert wie wohlkalkuliert gewesen zu sein, so wie heute jede Mitarbeiterehrung für 30-jährige Betriebszugehörigkeit. Walter Ulbricht liess sich noch zum Bonmot hinreissen, dass "Adenauer schließlich kein Holzarbeiter sei, sondern auf dem Holzwege".
Mayers triumphaler Schlusssatz, dass damals "die Hälfte eines Opernplatzes der Besucher bezahlte, die anderen 50% der Staat", lässt auf einen ungebrochen fortschreitenden Sozialismus schließen, denn die Staatsquote erreicht heute etwa 85%.
Am heutigen 9. Oktober führt Jochen Biganzoli Regie beim Wiedergänger von Wagners "Meistersinger"-Aufführung. Im Gespräch mit Peter Korfmacher erläutert der Regisseur, warum er die "deutsche Nationaloper schlechthin" als "Utopie einer Gesellschaft, in der Kunst und Kultur eine identitätsstiftende Rolle spielen" ansieht. Und gleichzeitig als Kern des Stücks eine kammerspielartige Liebesgeschichte ausmacht, die Dreiecksgeschichte zwischen Sachs, Beckmesser und Walther. Sie zeige "Situationskomik mit Hintersinn, im Loriotschen Sinne". Endlich begreift jemand das wahre deutsche Wesen. Vielleicht gewährt Sebastian Hartmann diesem Vorzeigedeutschen Asyl? Kommt es daraufhin doch noch zur Fusion von Oper und Schauspielhaus? Beim Thema Deutschland bleibt kein Auge trocken und keine Grenze sicher.

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