Dienstag, 12. Oktober 2010

lvz kultur vom 12.10.10: In Love with Marilyn Monroe, On the Road with Jack Kerouac & Algorithmen von Jorinde Voigt

Den seichten Beginn macht ein Interview von Birgit Hendrich mit Stargeiger David Garrett. Doch der hat nicht mehr zu sagen, als was er ohnehin tut. Rockmusik und Klassik zu verbinden. Dass Klassik nicht "immer stocksteif" sei, der Musik, nicht den Musikern, "mit Respekt begegnet" werden solle, das "Niveau hoch" sein müsse, sind Platitüden, die ein erfolgreicher Musiker eben so absondert. Ach ja, außerdem fühle sich der stradivaribewaffnete Herr Garrett geschmeichelt, wenn man sein phantastisches Aussehen bemerke. Welche entwaffnende Ehrlichkeit. Respekt!
Etwas ähnlich Verstaubtes ist jüngst jenseits des Ozeans auf einem Dachboden aufgefunden worden, in Britta Schultejans Augen entpuppe sich der Fund allerdings als "kleine Sensation". Lee Strasbergs Witwe, Nachlassverwalterin von Marilyn Monroe, hat dort Gedichte des most sexiest woman dead or alive gefunden. Übrigens auch Kochrezepte, Einkaufslisten, Aphorismen und was der Nachwelt sonst noch aus dem Küchenschrank der Monroe erhalten bleiben sollte. Darunter die poetischen, vermutlich kongenial übersetzten Zeilen "Ich glaube, meine Liebe, wenn das das richtige Wort ist, war vor allem das herrlich berauschende Gefühl, begehrt, geliebt, und umhegt zu werden und etwaige sexuelle Anziehung." Übrigens war die Monroe damals noch Norma Jeane Baker und gerade mal 16, als sie das schrieb. Ein "Gänsehauterlebnis" verspricht dagegen der Fischer-Verlag, der mit diesem Buch zu einer literarischen Mosterei umsatteln möchte, indem er den letzten Rest Saft aus einem ausgewrungenen Bettlaken presst.
Und noch ein weiteres Kleinod der Literaturgeschichte ist ans Licht gehoben worden: Jack Kerouacs unredigiertes Manuskript seines Bestsellers "On the Road", in dem er weitgehend auf Satzzeichen verzichtete, Klarnamen nennt, und für das er eine zusammengeklebte DIN A4-Papierrolle in seine Schreibmaschine eingespannt hatte, um den kreativen Schreibfluss nicht durch unnötiges Ein- und Ausspannen des Papiers zu unterbrechen, wie Gisela Ostwald ehrfurchtsvoll konstatiert.
Außergewöhnlich scheint die Ausstellung von Zeichnungen Jorinde Voigts im Rosenkranz Kubus des Leipziger Bildermuseums zu sein, über die Meinhard Michael schreibt. In ihren Bildern verbindet die Zeichnerin technische und physikalische Daten mit Worten, Tönen, Küssen und verwandelt sie in Netze von Linien, die einen Rhythmus bekommen und - modernen Musik-Partituren ähnlich - Energie wie Eleganz, Kraft wie Zartheit ebenso ausdrücken wie die Spannung zwischen Logik und Gefühl. Der "herrliche Unfug" ersetze "Gottes Geheimnis" durch "strikte Algorithmen" und "ergänze sie übermütig mit Pop und Küssen", in "höheren Schichten leider viel zu kalt". Zu hoch, zu unverständlich meint Michael wohl. Nichtsdestotrotz hingerissen.
Auch die Connewitzer Cammerspiele machen es dem Publikum in ihrer jüngsten Produktion "Gog Magog Wars - Die Mythosmaschine" nicht eben einfach, wenn man Lars Schmidt glauben will. Regisseur Christian Hanisch demonstriert in seinem "bedrückendem Untergangsszenario", wie die Apokalypse in Gestalt der Völker der Gogs, Inkarnationen des Bösen, längst von der Gegenwart Besitz ergriffen habe und in der "hoffnungsfreien Eschatologie des Marktes" die Schöpfung zu verschlingen drohe. Die Aufführung habe das Publikum "aufgewühlt, aber ratlos" entlassen, so dass es auf dem Hof des Werk II heftig weiterdiskutierend den Abend fortsetzte.
Die Oper macht mobil, schreibt Antje Henselin-Rudolph. Künftig werde das Publikum jeden Montag ab 13 Uhr in der Kassenhalle mit einem 40-minütigen Programm unter dem Motto "Aktion Kunst" überrascht, an dem sich gestern nicht nur Intendant von Maravic, sondern demnächst auch Künstler des Gewandhauses und des Centraltheaters beteiligen werden. Mit dem Programm solle ein Zeichen gegen die Sparpläne gesetzt werden, die den drei Großen der Leipziger Hochkultur drohen.
Was eher nett und beinahe wie eine Angebotserweiterung klingt, ist für Torkild Hinrichsen, den Direktor des Altonaer Museums in Hamburg, das wie das Leipziger Naturkundemuseum geschlossen werden soll, der Beginn eines Widerstands. Im Interview mit Thomas Mayer rät er den Leipziger Bürgern: "Es klingt ein wenig martialisch, ist aber so: Öffentlich kämpfen. Nur mit massivem Druck wird der Erhalt zu sichern sein" und spricht in Zusammenhang mit einem Spendenaufruf für sein Museum von einer "Kriegskasse", mit deren Hilfe die Einrichtung noch gerettet werden solle.

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