Donnerstag, 14. Oktober 2010

lvz kultur vom 14.10.10: Loriot und die Deutschen

An manchen Tagen sind die schönsten Lesefrüchte der lvz die dummen Gedanken und Abschweife, die sich ungefragt einstellen. Versacken irgendwo zwischen Seite 1 und dem Kulturteil. Gerade hat man noch wahrgenommen, dass OBM Burkhard Jung gemeinsam mit 15 anderen OBMs eine Neuordnung der Kommunalfinanzen und erweiterte Gewerbesteuern fordert, dass "Deutsche" sich zu 25% eine Partei wünschen, die die "deutsche Volksgemeinschaft" verkörpere, da singt die lvz kulturseite bereits ein Prosit auf die urdeutsche Gemütlichkeit. Der da in höchsten Tönen jubeliert, ist Christian Ruf, der über die jüngste Premiere an den Landesbühnen Sachsen, "Loriot á la carte" , ein Loblied trällert. Darin geht es um das Wesen der Deutschen. Ruf meint, wir, die Deutschen, seien - nicht der Papst, sondern - die Hoppenstedts, Loriots bekanntes, allzubekanntes Ehepaar.Wir, das von Selbstzweifeln und Humorlosigkeit geplagte Volk, wurden von Loriot, der "die Menschen liebt", auf eine Weise zum Lachen gebracht und ins Leben zurückgeholt, wie es vorher nur der Prinz mit Schneewittchen und Jesus mit dem toten Lazarus vollbracht hatten.
Christian Ruf öffnet uns die Augen fast schreckensweit, wenn er "die Deutschen", uns Möchtegernweltbürger von heute, in der "gediegenen Provinzialität, Pedanterie und Verklemmtheit" der Hoppenstedts erkennen könne. Und mal abgesehen von "Was der Streit von Frau und Herrn Hoppenstedt um einen Kosakenzipfel, das ist anderswo der Zoff um den Bau eines Bahnhofs oder einer Brücke." Ob Herr Ruf beim wilden Zappen durch die Fernsehprogramme schon mal Wasserwerfer mit Nudelresten oder so verwechselt? Wie dem auch sei, ganz ungefragt kommt einem hier der Gedanke, dass die vielen Kulturmillionen vielleicht nicht für derlei Theater, das "Loriots Figuren schlichtweg nachspielt", ausgegeben werden müsse.
Beinahe jeder weiß, dass Kultur für die Menschen eben mehr als "schön, aber nicht nötig" (Leipzigs Bürgermeister für Wirtschaft, Uwe Albrecht) ist. Trotzdem muss darüber nachgedacht werden, für welche Kultur das Geld der Kommunen genommen werden solle und für welches nicht. Und da sage ich hier: Für bereits die zweite Loriotpremiere an den Landesbühnen Sachsen nicht, so lustig und schön der Abend auch sein mag.
Es sollte gerade die Kultur für die Mehrheit, die Loriotabende, die Musicals wie Jekyll&Hyde an der Muko, die klassischen Schauspiele, die ihr Publikum blind ziehen, eben nicht mehr so subventioniert werden wie die Kunst und Kultur, die den Betrachter fordert, vielleicht sogar mitunter überfordert. Aber der es um eine Auseinandersetzung mit dem Hier und Heute, mit uns selbst, unserer oft komplizierten Existenz geht. Zuschüsse gehören den Bühnen, die moderne Autoren spielen, und sei es vor weniger Publikum. Dann spielen in den großen Häusern vielleicht mehr Tourneebühnen, mehr große Gesellschaften, die eine privatwirtschaftlichere Kosten-Nutzen-Rechnung aufmachen können, oben angesprochene Titel. Und die von öffentlichen Geldern lebenden Bühnen nur noch seltener in diesen großen Häusern.
Opernhäuser, die sich eben nicht "rechnen", sollten weiter von der öffentlichen Hand bezahlt werden, diesen Luxus darf man sich nicht beschneiden, aber eben auch hier verstärkt moderne Komponisten spielen. Die kaum nachwachsen, weil sie ohnehin nicht von ihrer Profession leben können. Die Top Twenty des Operngeschäfts kann sicher viel mehr quersubventioniert werden als die gewagtere, noch namenlose Komposition, die sichere Unterstützung braucht.
Natürlich sollte der Unterbau stimmen, kulturelle Bildung ausgebaut, Kinder- und Jugendtheater nicht geschlossen, sondern erheblich besser finanziert werden als heutzutage.
Und Museen, von denen der Leiter des von Schließung bedrohten Altonaer Museums Torkild Hinrichsen sagt, sie seien früher "heilig" gewesen, weil dort "die Vergangenheit aufbewahrt wurde", gehören wie Bibliotheken zu einer Gesellschaft, die sich ihres Hier und Jetzt tatsächlich im Rückgriff auf die Vergangenheit versichern will. Und nicht fälschlicherweise "Mut zu starkem Nationalgefühl" (für das sich 40% "der Deutschen" aussprechen) verwechselt mit einer blind gewordenen Gegenwart, die ohne Wissen und Kontakt zur eigenen Vergangenheit ist, und der eine um seine eigenen Wurzeln beschnitte Zukunft droht.

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