Samstag, 30. Oktober 2010

lvz kultur vom 30.10.10: Kulturraumgesetz, documenta 2012, Ezra Pound & Leila Josefowicz

Ein Rechtsgutachten im Auftrag von Oper Leipzig, Gewandhaus und Centraltheater und zum Preis von 10.000 € bestätigt dessen Auftraggebern deren Vorbehalte gegen die Rechtsstaatlichkeit der Novellierung des Kulturraumgesetztes Sachsen. In dem Gesetz, das am 15.12.2010 verabschiedet werden soll, geht es insbesondere um die Herauslösung der Landesbühnen Sachsen aus den Landesaufgaben, die fortan zur Hälfte aus den Geldern der acht Kulturräume bezahlt werden sollen. Es geht um mehr als 7 Mio € Mindereinnahmen, 2,5 Mio € beträfen die Stadt Leipzig. Karltheodor Hutter, Sprecher des sächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur (SMWK) gibt sich nach außen gelassen und meinte, ein Jurist sei bereits zur gegenteiligen Einschätzung als der des renommierten Staats- und Kommunalrechtlers Ossenbühl gekommen. Dahinter steckt wohl Zweckoptimismus, denn im gleichen Atemzug geht Hutter davon aus, "dass im Zuge des parlamentarischen Verfahrens finanziell noch "deutlich" nachgebessert werde, wie Peter Korfmacher zu berichten weiß. Alles andere als eine substanzielle Aufstockung der Kulturraumgelder wäre im Falle einer Herauslösung der LBS aus den Landesaufgaben tatsächlich nicht nachvollziehbar. Kurzfristige Einsparungen in sechsstelliger oder gar Millionenhöhe bei den Leipziger Flaggschiffen der Hochkultur, die als Konsequenz bisher drohen, würden das Programm wie das Image der Institute deutlich und wohl unwiederruflich beschädigen. Gewandhausdirektor Schulz fragt, ob er denn Anfang kommenden Jahres einfach 30 Seiten aus dem dann bereits gedruckten Spielzeitheft 11/12 "herausreißen solle"?
Einer hat darauf definitiv keine Antwort: Kulturdezernent Michael Faber, der derzeit Urlaub in Paris macht. Wie Korfmacher weiß, ohne Handy.

Die 13. documenta 2012 in Kassel wird ohne übergreifendes Motto stattfinden. Die künstlerische Leiterin Carolyn Christov-Bakargiev will die wichtigste deutsche Kunstschau stattdessen "an das digitale Zeitalter und ihre unzähligen Netzwerke anknüpfen". Sogar die Kunstausstellung selbst werde in Frage gestellt. In "Zeiten drahtloser Kommunikation könne sie als anachronistische Erfahrung des 20. Jahrhunderts empfunden werden". Christov-Bakargiev strebt eine Vernetzung der Kunst mit den Feldern von Migration und Quantenphysik an, es seien Projekte zu "Fragen zum Leben in modernen Gesellschaften" geplant. Berater für die Auswahl der ca. 100 einzuladenden Künstler seien u.a. ein Physiker, ein Schriftsteller, ein Immunologe und ein Denkmalpfleger.

Ulf Heise berichtet über den 125-jährigen Geburtstag des großen und politisch umstrittenen Lyrikers Ezra Pound. Der Amerikaner Pound galt als Anhänger Mussolinis und Hitlerverehrer, wurde von italienischen Partisanen gefangengenommen, an die amerikanische Soldaten übergeben und schließlich als unzurechnungsfähig in die Psychiatrie eingewiesen. Als "gefangenen Löwe" haben ihn Besucher empfunden. Er selbst habe später sein"spießbürgerliches Vorurteil des Antisemitismus" als seinen schlimmsten Fehler bezeichnet und arrangierte sich mit "seinem selbstverschuldeten Auf und Ab". Pound, der zu den genialsten Lyrikern der Moderne" zählt, sagte dazu knapp: "Schönheit ist schwierig."

Beim jüngsten Großen Concert, u.a. mit Werken des russischen Komponisten Sergej Prokofjew, war Jungstar und "schöne junge Frau" Leila Josefowicz als Soloviolinistin zu Gast im Gewandhaus. Charlotte Schrimpf sah am Ende des ersten Satzes des Violinkonzerts noch vielsagende irritierte Blicke im Zuschauerraum. "So scharf? So schneidend? Gehört (sich) das so?" Die gebürtige Kanadierin will die "feinen Flötenphrasen und immateriellen Tremoli" "aufschlitzen, zerfetzen". Dirigent George Pehlivanian lässt das Orchester gewähren, Josefowicz "verzieren", bis Solistin, Orchester und Publikum doch noch zu einem gemeinsamen Orgasmus finden: "Als schließlich ihr D in den Obertönen mit Streichern und Flöten verschmilzt, fehlt im Saal eigentlich nur das Seufzen".

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