Samstag, 9. Oktober 2010

lvz kultur vom 09.10.10: Jedermann, Blomstedt & Thalia Halle

Wie hält man die Debatte über das Centraltheater am Köcheln? Indem Nina May die Inszenierungen, heute Jürgen Kruses "Jedermann", heftig lobt ("zunehmend packender Rausch"), während die lvz Zuschauer, (Kultur-)Politiker und Gastschreiber gezielt auf Hartmanns Untergang aus schreiben lässt. Nina May wird nicht sehr oft ernst genommen, das verleiht voreingenommenen Schreibern wie Martin Eich umso größere Durchschlagskraft. Schaden können Hartmann aber besonders die ehemaligen Schauspieler, Regisseure und vor allem er sich selbst als einsamer Potentat.
Doch Nina May soll zu Wort kommen. "Mit langem Applaus" ende der Krusesche "Jedermann", Manuel Harder sei "das Beste am Abend", wegen seiner "dämonischen Aura" gar die Idealbesetzung des Jedermann. Hat Harder sie? Kann er was dafür? Ist sie sogar sein Verdienst? Nichts genaues weiß man nicht. "Ironisch" sei die Inszenierung, insbesondere Kruses "Witz", nur die Anspielungen auf Tagesaktualitäten eher "rührend", jedenfalls dann, wenn sie nicht gar zu durchsichtigem Kalkül gehorchten á la "Wir müssen auch mal was zum ... sagen". Aller "düsterer Atmo" mit Witz zum Trotz, May entdeckt statt Kruse "Pollesch-Imitate". Möchte sie mehr von Rosalind Baffoe sehen? Von ihrer "imposanten Erscheinung"? Ihren "Modelschritten"? Oder bleibt die zurecht "sehr im Hintergrund"? Nina May sieht etwas, freut sich dran, aber wertet nicht, bezieht nicht mal deutlich Stellung. Nur dass Hofmannsthals Verse "unfreiwillig aufgesagt" seien, findet sie nicht so gut. Ansonsten hat sie Spaß an der "Party", der "Jahrmarktsposse" als Mysterienspiel, dem (Gothic-)Schauer-Drama mit "Tänzchen und Singspielchen". Schade nur, dass die Schauspieler unentwegt "saufen und rauchen" müssen. Der Jedermann - Hartmanns Goldener Schuss?
Peter Korfmacher haut mal wieder in dreißig Minuten eine Musikkritik in die Tasten. Unnachahmlich vermag er in Blomstedts Version von Bruckners Vierter herauszuhören, dass "die Tutti-Ballungen subtil ausbalanciert und die gewaltigen Steigerungen auch formal in Bezug zueinander" stünden. Ja, alles ist gut. Blomstedt lädt "die Herrlichkeiten von Bruckners Partitur" mit "Wahrheit" und "Bedeutung" auf. "Besser" gehts "kaum", sogar das Blech "rechts" ist "markanter", "links verlässlicher". Als? Umgekehrt? Das Publikum jubelt, laut Korfmacher schwebt zwar über allem Blomstedt-Genialischen "eine Ahnung von Gefährdung", doch schreibt sich Korfmacher lieber in einen Hölderlinschen Rausch. Denn wo der Gefahr sieht, wächst das Rettende bekanntlich auch.
Zu einer regelrecht erpresserischen Formulierung hat sich der Aufsichtsrat der Theater, Oper und Orchester GmbH Halle aufgeschwungen. Das Thalia Theater Halle solle geschlossen werden, sofern der Abschluss von Haustarifverträgen scheitert. Und die Gefahr ist durchaus groß, die Vertretungen der Kollektive wie Ballett oder Chor neigen nicht zu freiwilligen Einschränkungen, solange nicht ihre eigenen Stellen gefährdet scheinen. Das Orchester hat bereits ganz separat einen abgeschlossen. Solidarität im 5-Sparten-Haus? Nicht einfach. Bei der Reise nach Jerusalem wird das Thalia Theater womöglich die schlechtesten Karten haben. Selbst Halles OBM Szabados spricht mit gespaltener Zunge, wenn sie bekennt, ein "Haustarifvertrag" habe absoluten Vorrang vor einer Thalia-Schließung. Wieso bei Abschluss des GmbH-Vertrages eigentlich das drohende strukturelle Defizit nicht längst erkannt und thematisiert wurde, wissen wohl nur Herr Stiska und Konsorten, die sonst nichts zu verlieren haben. Außer einer unbequemen (und ungeschickten) Annegret Hahn und der einer musiktheaterverliebten Leitung nur wenig Prestige bringenden Sparte. Dass die Geschäftsführerin des Dachverbands der Kinder- und Jugendtheatertheater Deutschlands, Meike Fechner, bisher als einzige den drohenden Verlust beklagt, stellt für Halle und sein Theater ein krasses Armutszeugnis dar. Leipzigs OBM Jung hat übrigens in vergleichbarer Situation genau gegenteilig reagiert, als er dem Theater der Jungen Welt die Garantie gab, bei demnächst drohenden Sparrunden ungeschoren zu bleiben - im Gegensatz zu Oper, Gewandhaus und Centraltheater.

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