Montag, 4. Oktober 2010

lvz kultur vom 04.10.10: Musikalische Komödie,

Peter Korfmacher jubelt uns mal wieder die Muko hoch. Das hat er bisher stets gemacht, wenn Kürzungsdebatten anstanden, aber mit der jüngsten Inszenierung Cusch Jungs von "Jekyll & Hyde" bringt er die Dinge auf den Punkt. "Höchste Professionalität, Spielwut, Qualität" würden von allen Beteiligten abgeliefert, und "Großes Kino". Das sei "die Hauptsache in diesen Zeiten, in denen nichts mehr heilig scheint". Ansonsten gibt sich das Leitungsteam mit einer "straff und blutrünstig erzählten Geschichte zufrieden". Zwischentöne? Etwas, das mit diesem unter "Musical-Schocker"-Label segelnden Abend erzählt werden soll außer der Demonstration einer leerdrehenden Unterhaltungsmaschinerie selbst? Wenigstens ein zeitgemäßes Format? Anscheinend Fehlanzeige. Korfmacher sieht den Abend in Konkurrenz zu "den schönsten Splatter-Videos", und bejubelt ansonsten Marysol Ximénez-Carillos grandiose Charakterstudie der "dunklen Hure Lucy", die zudem "zum Niederknien" sänge. Außerdem beschäftigt sich Peter Korfmacher mit Nacktheit auf der Bühne. Er spricht von "gewagt gekleidet", "unanständigen Massenszenen" oder "Genretypischer Schein-Nacktheit". Wer scheint mehr verklemmt? Berichterstatter? Regieteam? Publikum? lvz-Leser?

Nacktheit ist auch das Thema der Glosse Korfmachers unter dem Titel "Blank ziehen". Dass die Muko mit ihren "Leberwurstpellen" ein lebendiges Bekenntnis gegen die "Moderne" oder gar "Avantgarde" als Synonyme der Nacktheit ablege, ist dem humorigen Lokalkritiker und Mukoretter irgendwie Recht, der Mann im Kritiker findet das "andererseits auch schade, eigentlich". Wo doch schon das Moulin Rouge geschlossen hat.

Soll Leipzig für dieses Genre wirklich mehrere Millionen Euro Steuergelder ausgeben? Was sind denn die Kriterien? Es stellt sich zum x-ten Mal die Frage, ob derlei mainstreamiger Massengeschmack mit einer Ästhetik aus dem letzten Jahrhundert wirklich eher Geld verdient als eine Kunst, die sich der Masse nicht sicher weiß, aber neben Vergnügen auch wirkliche Verstörung bietet? Hat denn nicht endlich mal jemand die Konsequenzen durchgerechnet, die eine Privatisierung der Muko zur Folge hätten?



Muko voll. Gewandhaus mit der "Reiheins" des MDR höchstens halb. "Anatevka" im Opernhaus Halle bejubelt. In der Oper Leipzig enden die Jazztage mit teutonischem Haudraufjazz von Peter Brötzmann umjubelt, bei der anschließenden "großen Kunst, die ihr Rätsel behält und Herausforderung bleibt" (Steve Coleman), wie Ulrich Steinmetzger schreibt, verlassen die Zuschauer türenschlagend den Saal. Das Comedyduo "Elsterglanz" schaffte es im Haus Auensee, mit "Dumpfhumor" und weiteren Rülpsern von der Bühne die Massen (Zwei mal 2000) zu begeistern, während Theresa Rentsch sich wenigstens froh über den Anblick hunderter Männer gab, die zu Kindern regredierten und - "egal worüber" - "einen Abend so richtig lachen konnten. Das konnten augenscheinlich auch die Zuschauer bei den Sächsischen Amateurtheatertagen im Werk II bei der Inszenierung von "Happy Midsummernight" nach W. Allen, wenn ein orgiastischer Höhepunkt durch einen auf die Bühnen rennenden "Ejakulateur" dargestellt wird, der, ein Deutschland-Fähnchen schwenkend, "inbrünstig 'Tor, Tor, Tor' brüllt". "Der Rest war Feiern", schreibt dazu Lars Schmidt.

Dass bei Brachialvergnügungen wie der "Modell-Hobby-Spiel-Messe" auch schon mal die Emphase mit den lvz-Headlinern durchgeht, ist im Lokalteil zu erleben, wo der längst abgeschaffte Korrektor die Überschrift "Die Messe der zerissenen Familien" zuließ. Bei der dort anwesenden Jugend kann einem Angst und Bange um Deutschlands Zukunft werden.

Da hält doch tatsächlich die Kulturfahne des Tages FDP-Stadtrat Reik Hesselbarth hoch, der sich zumindest verbal gegen seine eigene Fraktion im Sächsischen Landtag wendet. Die will - gemeinsam mit der CDU - die Kulturraumgelder u.a. um 7 Mio Euro für die Entsorgung der landeseigenen Landesbühnen-Zuschüsse kürzen.

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