Dienstag, 26. Oktober 2010

lvz kultur vom 26.10.10: Lachmesse zum Letzten, Schlingensiefs 50. & Lanzmann

Ich war schon drauf und dran, Mark Daniel Abbitte zu leisten. Ist das Kabarett etwa doch nicht passé? Georg Schramm, von Daniel zu der "Kabarett-Instanz überhaupt" erhoben, stelle auf der Lachmesse seine Extraklasse unter Beweis, indem sich "in seine berüchtigte Schärfe Düsternis geschlichen hat, die zu einer vorempfundenen Wehmut passt". Dazu gehört dann ein abgedrucktes Schramm-Zitat über Banken als Verursacher der Wirtschaftskrise: "Wenn sich im Casino einer verzockt, erschießt er sich wenigstens ab und zu." Das ist weder düster, noch tragisch, das ist einfach ein Witz, wie man ihn rund um einen Fußballplatz regelmäßig zu hören bekommt, und den Schramm nun der feineren Gesellschaft im Theater vor den Latz knallt. Der Rest der abgedruckten 17 Lachmesse-Zitate sind ebenfalls, z.T. arg platte, Witze. Lachmesse als Witzmesse? Wenn nicht tatsächlich an zu vielen Ecken der Distinktionsgewinn hervorlugte. Am deutlichsten bei Bruno Jonas und dessen heiterer Publikumsbecircung: "Liebe Zuschauer, Sie lachen aus der seligen Distanz des unvollständigen Wissens!"
Bleibt noch Anarchist Leo Bassi, der beweise, dass Kabarett gefährlich und "hochpolitisch" sein könne. Das gelinge ihm, indem er dem Publikum seine eigene Verführbarkeit vor Augen halte. Dass der diesjährige "Geburtstagsjahrgang" der 20. Lachmesse als ein ganz besonderer "in Erinnerung bleibe", hat für Daniel mit den 15 Preisträgern zu tun. Darin Gleichstand mit der Dokfilmwoche, jedoch Vorteil Lachmesse, weil alle Preisträger bei ihrer Ehrung tatsächlich anwesend waren.

Die 2009 am Wiener Burgtheater herausgekommene ReadyMadeOper "Mea Culpa" von Christoph Schlingensief war zu Gast beim Hamburger Theaterfestival. Just an Schlingensiefs 50. Geburtstag, hätte er ihn noch erlebt. So wurde es eine Selbst-Feier der Nachwelt, voll öffentlicher Wehmut und Tränen (Burgtheater-Geschäftsführerin Silvia Stantejsky). Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung mit "seinem drohenden Tod" stünde die Frage nach "Heilung und Erlösung". Ulrike Cordes sah in der Aufführung vor allem "schnöden Sex und weitere kunstvolle Blödeleien", die jedoch den "existenziellen Ernst der Aufführung" selbstverständlich "nicht mindern" könnten. Na ja, vielleicht noch mal schnell im Hohelied oder bei Tabori nachlesen, wie Heiliges, profaner Sex und Erotik zusammenpasst? Schön ist Cordes' Schlusssatz, Zitat Joachim Meyerhoff, in einer Rolle, die Schlingensief selbst hätte darstellen wollen: "Ich will einfach noch nicht. Es ist einfach noch zu früh."

Spaßvogel Korfmacher darf heute eine Gershwin-CD-Kritik veröffentlichen und tut so, als sei das Ereignis das wahre Geburtstagsgeschenk für das 50-jährige Opernhaus. Es geht also um eine Chailly-Aufnahme, zwar bereits Anfang des Jahres mit dem Gewandhausorchester aufgenommen, aber was solls. Erscheint eher ungeplant in Deutschland, weil sie sich in Italien überraschenderweise über Wochen in den Pop-Charts gehalten hatte. Neben all den üblichen Gespreiztheiten ("Pianist Bollani gibt Gershwin den Groove zurück, indem er seine Melodien, Umspielungen, Akkorde, Rhythmen lasziv zwischen die Gerüststreben kantet, die Chailly und das Gewandhausorchester um ihn herum aufschichten.") Eindrucksvoll aber Korfmachers Plädoyer dafür, bei der Arbeit auch Spaß haben zu dürfen - in Deutschland ja immernoch ein Sakrileg. Mit Chailly und Jazz-Pianist Stefano Bollani ginge am Schluss sogar "der Schalk durch, wenn sie sich mit nachgerade (!) anarchischem Witz aus der Rialto-Ripples-Music-Hall in den Feierabend verabschieden." Die Einspielung jedenfalls wird bei Jazz- wie Klassikexperten als "Referenz" gelobt und sogar als "musikalisches Wunder" bezeichnet.

Eine beeindruckende Autobiografie stellt Steffen Georgi vor, Claude Lanzmanns "Der patagonische Hase". Die Gewalttätigkeit des Lebens und die Techniken des Mordens stehen bei Lanzmann neben der "Zärtlichkeit", mit der er "den Mut und die Kraft ehemaligen KZ-Insassen" schildert, die vor laufender Kamera "in die Hölle ihrer Erinnerungen hinabstiegen" und der Professionalität, Gespräche beim Kaffee mit ehemaligen SS-Schlächtern zu führen. Und dann ist da - natürlich - Israel. Und - nicht zuletzt - die existenzielle "Wiederinbesitznahme der Gewalt durch die Juden" (Lanzmann). Sein Hunger nach Leben, von dem der 85-jährige der "Abschied bevorsteht", werde "kraftvoll beschworen", nicht ohne einen Satz des befreundeten Philosophen Vladimir Jankélévitch zu zitieren: "Wer einmal gewesen ist, kann nicht mehr nicht gewesen sein; fortan ist die geheimnisvolle und zutiefst dunkle Tatsache, gelebt zu haben, seine Wegzehrung für die Ewigkeit." Bewunderung, aber auch Zweifel hege Lanzmann für diesen Satz, seine unstillbare Neugier gelte, so Georgi, vielleicht sogar der Ewigkeit.

Altenburgs Oberbürgermeister Michael Wolf befürchtet die Insolvenz des Theaters Gera-Altenburg, wenn die abzusehenden 1,8 Mio € Defizit nicht vom Land übernommen würden. Er habe, will er sich reinwaschen, von einem Passus im Haustarifvertrag nichts gewusst, wonach Steigerungen im Flächentarifvertrag zumindest teilweise berücksichtigt werden müssten. Nun hält er, laut Ellen Paul, Generalintendant Matthias Oldag vor, als Geschäftsführer das Controlling nicht mit der notwendigen Qualität durchgeführt zu haben. Das könne unter Umständen sogar zu Haftungsansprüchen gegenüber Oldag führen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen