Samstag, 23. Oktober 2010

lvz kultur vom 23.10.10: Brönner, Knef, Mittermaier & die Thomaner

Till Brönner hatte Mut, vielleicht deshalb, weil er nicht wissen konnte, wie weh das tut. Doch als der spätere Jazzpianist zum ersten Mal Charlie Parker hörte, war ihm klar: An der Musik kommst du nicht vorbei, ganz egal, ob du als Jazzfan etwas giltst. Vermutlich war es in den Augen der Mitschüler sogar weniger als nichts. Sich zum Jazzfan zu bekennen, hatte als Jugendlicher in den 80ern anscheinend die Qualität eines schwulen Outings. Und die Mädchen, an denen er Interesse hatte, "fanden das am Anfang erst mal nicht so dufte".
Till Brönners Gespräch, das er anlässlich des Erscheinens der Platte "All the End of the Day" mit Benjamin Weber führte, macht den Willen, einen Strich zu ziehen, deutlich. Das neue Album bewegt sich zwischen Pop und Jazz und genau um diese Neuentdeckung, oder besser, Neubewertung des Populären für sich selbst geht es Brönner. Er, der die 80er Jahre Musik, ob Bowie, Depeche Mode, U2, als "totaler Jazzfan" furchtbar fand, sieht heute darin musikalische Substanz, zeitlose Qualität. So sehr er auch einem Musiker huldigen mag, der selbst mit Charlie Parker zusammenspielte (Ray Brown), so sehr vermag Brönner die Zusammenarbeit mit den No Angels, Carla Bruni oder Hildegard Knef zu beeindrucken. Bei der Knef z.B., welche Bedeutung sie den Brüchen in der Musik beimaß. "Und wenn sich jemand mit Brüchen auskannte, dann war's Hildegard Knef".
Auf der Bühne der Arena Leipzig war mal wieder einer der Stars der Comedianszene: Michael Mittermeier. Er betrieb Mehrfachverwertung seines biografisch angehauchten Bestsellers "Achtung, Baby!", das er vor dem Hintergrund des "komödiantischen Potenzials seines eigenen Vaterglücks" geschrieben hatte. Viel mehr, als sich an einen Familien-Trend dranzuhängen, war bei seinem Auftritt nicht zu erkennen. Ob als schwangerer Mann, als Entdecker, dass Kinder auch Arschlöcher sein können, oder schließlich daran, dass hinter Frau Merkels Maske Helmut Kohl durchschimmere - "Das sind Witze, die ruhig mal gewechselt werden können", schreibt Hendrik Schäfer.

Der Reisejournalist Peter Korfmacher begleitet mental den Leipziger Thomanerchor nach Südamerika. Samt Bachorchester und Accentus Filmteam startet ein 88-köpfiges Team für gut 10 Tage nach Buenos Aires, Montevideo und anderswo. Der private Kontakt zum Tournee-Manager und dessen brasilianischer Frau habe die Gastspielreise finanziell erst möglich gemacht, natürlich auch die Unterstützung des Goethe-Instituts, die kaum weniger als sechsstellig sein konnte. Aufenthalte in einer deutschen Schule in Sao Paolo und auf einer Rinderfarm (am Reformationstag!) stellen die willkommene Ergänzung zu Johann Sebastians Bachs h-Moll-Messe dar. Mit nicht einmal süffigem Unterton zitiert Korfmacher den Geschäftsführer der Thomaner, Stefan Altner, zur Frage, wie die spezielle musikalische Vorliebe der Südamerikaner und auch die Einladung zustande gekommen sei: "Bei der Christianisierung der lateinamerikanischen Länder haben Musik und Theater eine entscheidende Rolle gespielt, das steckt wohl noch drin."

Im Gewandhaus gastierte derweil der singende Klavierkabarettist Bodo Wartke. Die 1400 Zuschauer haben am Ende den Sauerstoff in der Konzerthalle komplett rausgelacht. Ob Antonia Reiser, für die lvz vor Ort, ebenfalls gelacht hat, war nicht wirklich zu erkennen. Der scheinbar frauenfeindliche Grundton in den Witzen des Frauenfreunds muss sie mehr als nur einmal irritiert haben. Jedenfalls endet ihr Bericht mit der freundlichen Warnung: "Liebe, Mord und Totschlag - kaum einer singt darüber wortverspielter als Bodo Wartke. Hoffentlich passiert ihm nichts bei der Recherche...".

Meinhard Michael hat tatsächlich die D21 besucht. Im Lindenauer Kunstraum ist eine Ausstellung von Fabian Reimann zu sehen. Darin kombiniert er dreierlei: eine Videoinstallation, die Projektion eines Videos und eine "narrative Installation". Thema ist die Angst, die aus dem Meer kommt: Godzilla, Odysseus, Bay Watch und Moby Dick lassen grüßen. Falls es eine Botschaft in der Ausstellung gibt, könne sie darin bestehen, dass die "Natur des Menschen", dargestellt in der Gespaltenheit des antiken Menschen im Bild des einäugigen Zyklopen Polyphem und des faustisch geprägten Odysseus. Beides verbindet der HGB-Abgänger Reimann durch einen Monitor inmitten der Kriegsfalle der Griechen gegen Troia, dem hölzernen Pferd. Die Spezie Mensch als solche als Auslöser des Bösen.

Norbert Wehrstedt schreibt noch unter anderem über den Dokfilm "Geheimsache Ghettofilm" des Israeli Yael Hersonski, in dessen Produktion mit feinem Gespür für den Erfolg Katja Wildermuth für den mdr früh eingestiegen ist. In dem Film geht es um geschönte Aufnahmen des Lebens der Juden im Warschauer Ghetto, die lange Zeit für authentisch gehalten wurden, bis sie sich als perfide Inszenierung der Deutschen herausstellten.

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