Freitag, 29. Oktober 2010

lvz kultur vom 29.10.10: Grassi-Messe, Kultur Hamburg, Christa Wolf & Alain Platel,

Selbst das Bauhaus kannte die Grassi-Messe und stellte dort aus. Sie ist die älteste deutsche Museumsmesse Deutschlands, Kunsthandwerk von Mode, Geschirr bis zu Möbeln gibt es dort zu kaufen. Auf ihre alten Tage hat sie tatsächlich noch Kinder bekommen: Die Designers Open zum Beispiel.
Im Gespräch mit Juliane Streich sieht Eva-Maria Hoyer, Direktorin des Leipziger Grassi-Museums, den Bedarf an der Messe darin, dass "heutzutage doch alles gleich aussieht". Die Suche nach dem Individuellen und Schönen werde daher immer stärker. Eine Jury hat bereits "in enthusiastischem Kampf" vier Preisträger der Grassi Messe ausgewählt: Hiawatha Seiffert (Preis der Sparkasse), Beate Eismann (Total Leipzig-Preis), Sebastian Scheid (Preis Carl und Anneliese Goerdeler Stiftung) und Silke Spitzer (Preis der Galerie Slavek, Wien). Neben diesen vier stellen viele weitere Künstler auf der heute beginnenden Messe aus. Hoyer freut insbesondere, dass sich die Tradition der Messe verzweige, so sei die Designers Open eine Tochter, die selbstständig wurde, auch wenn sie nun parallel zur Grassi-Messe stattfinde. "Das wird ein wunderbares Design-Wochenende."

Es ist eine skurrile Form der Meinungsumfrage: Bei Katastrophenszenarios wenden Politiker gerne das Try-and-error-Prinzip an. Wo bei den angekündigten Einsparungen der größte Aufschrei, die größte Massenmobilisierung oder der größte Medienprotest erfolgt, da zieht man seine ursprünglichen Pläne zurück, reduziert sie auf die Hälfte oder setzt sie auf Wiedervorlage. So geschieht es derzeit in Hamburg. Kultursenator Stuth, berichtet Ulrike Cordes, will nun doch nicht das Altonaer Museum schließen, die Kürzungssumme von 3,4 Mio € werde erst 2014 fällig. Auch das Junge Schauspielhaus werde zunächst (!) nicht geschlossen. Die vom Hamburger Schauspielhaus geforderte Einsparsumme von 1,2 Mio € werde nun auf mehrere Jahre verteilt. Bürgermeister Ahlhaus wolle "angesichts der wochenlangen Proteste" einen "Imageschaden" von Hamburg fernhalten. Der Schaden, den eine Museums- oder Theaterlandschaft bei der Umsetzung der geäußerten Pläne unwiderruflich erfahren würde, und damit die Hamburger Bevölkerung, interessiert die CDU-Politiker offensichtlich weniger.

Janina Fleischer berichtet über eine Lesung (samt Gespräch) von Christa Wolf, die sie im Haus des Buches aus ihrem jüngsten Roman "Stadt der Engel" abhält. Fleischer läuft zu großer Form auf, Gedanken verwandeln sich bei ihr zu schönen und verblüffenden Sätzen. Die Zuhörer wollen "einer Schriftstellerin nah kommen, die sich selbst manchmal fremd war". Wolf, die in Los Angeles lebt, sei eine Emigrantin auf Zeit. Zu sehr habe ihre "schmale Akte", die sie als IM Margarete in Diensten der Stasi abgeliefert hatte, in der Öffentlichkeit die 42 Bände überwogen, die dieStasi über sie selbst sammelte, "wehren könne man sich schwer". So sei auch ihr Roman weder "Rechtfertigungsschrift noch Verdrängungsprosa", sondern ein Gewebe aus "Erfundenem, Erlebtem, Dokumentiertem". Wolf zitiert Freud: "Ohne Vergessen könne man nicht leben." Doch, so Fleischer, die Gegenwart lasse sich ohne die Möbel der Vergangenheit nur spärlich einrichten. Und "ohne Literatur, der von Christa Wolf zumal, lebten wir aus leeren Koffern."
So sehr sich Christa Wolf und ihre über 300 Zuhörer anhand der gemeinsamen (DDR-)Geschichte einer vergangenen Zeit vergewisserten, so sehr empfindet Alain Platel angesichts der großen Veränderungen, die es in den Neunziger Jahren im Stadtbild Leipzigs gegeben hat, eine große Melancholie, wie er Nina May anvertraut. Es seien Westimporte wie die riesigen Shopping-Center, die Platel dabei vor Augen hat. Seit 1996 ist Platel regelmäßiger Gast der euro-scene, "immer wieder glücklich, eingeladen zu werden", die wachsende "Nähe des Publikums" spüren zu können. Gerade Leipzig schätze er sehr, nicht zuletzt Johann Sebastian Bachs wegen. Manche seiner Ideen, so der Wettbewerb Bestes Tanz-Solo, das von der euro-scene aufgegriffen wurde, würden hier erheblich professioneller, aber im Gegenzug dafür viel weniger entspannt und komisch als in Gent stattfinden. Der ausgebildete Heilpädagoge, der zu den herausragenden Choreografen der Gegenwart gehört, habe sich erst spät getraut, seine Inspirations-Quellen, die sich auch aus Behinderungen und Krankheiten speisen, offen in die künstlerische Arbeit einfließen zu lassen. Eigentlich erst seit "vsprs" (2006) habe er keine Angst mehr, mit diesem "Material "zu arbeiten.

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