Montag, 25. Oktober 2010

lvz kultur vom 25.10.10: Dokfilmwoche, Lachmesse & Udo Lindenberg

Norbert Wehrstedt fühlt sich, wie so oft, im falschen Film, zumindest in einem anderen. Denn die Juries für die Preisverleihungen an die verschiedenen Dok- und Animationsfilme haben mal wieder alles ganz anders gesehen als er, ihre "Entscheidungen blieben natürlich mal wieder ein Buch mit sieben Siegeln", daher "klingen manche Begründungen nicht nur forsch, sondern auch fantastisch". Allerallermindestens aber habe es "einige Eierei" gegeben. Den Haupt-Preis im internationalen Wettbewerb, die Goldene Taube (10.000 €), hat zwar "Vodka Factory" von Jerzey Sladkowski (PL) erhalten; Norbert Wehrstedt deutete die zwei Preise an Tomas Kudmas "All That Glitter" (CZ), der den MDR-Preis (3000 €) und den Preis der Agentur für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz (8.000 €) erhalten hat, wegen ihrer 1000 € höheren Gesamtsumme allerdings zum "eigentlichen Gewinner" um. Den Preis im Milchmädchenrechnen hat Wehrstedt jedenfalls verdient.
Das eigentliche Ärgernis für den lvz Filmredakteur aber war die Abwesenheit vieler Preisträger: Nur fünfen der 15 konnte der Preis persönlich übergeben werden. Ärgerlicher zumindest als seine Überzeugung, einen vergleichsweise schwachen Jahrgang ("nicht mit Meisterstücken gespickt") gesehen zu haben. Gar nicht schwach war allerdings die Publikumsbeteiligung beim 53. Dokfilmfest. Die 30.000er Marke - und damit einen Besucherrekord - habe man sicher "geknackt", meinte Chef Claas Danielsen, Rekord bedeuteten auch 1421 Akkreditierungen.
Titel Thesen Temperamente hat übrigens einen außergewöhnlichen Film gesehen, den weder die Jury noch Norbert Wehrstedt in ihren Notizbüchern hatten: Martina Prießners "Wir sitzen im Süden" (D) über Deutsch-Türken in Istanbul, die aus verschiedenen Gründen nicht mehr in Deutschland leben dürfen, und für die ein Callcenter für deutsche Unternehmen in der türkischen Metropole eine Art Heimatersatz geworden ist. "Wundervoll" (TTT).
Mathias Wöbking war dabei, als 7500 Fans der Band A-ha auf ihrer Abschiedstour zujubelten und sah einer Vollversammlung von 35- bis 45-Jährigen zu, die den "Soundtrack ihrer Kindheit und Jugend" feierte. Beim Finale des Konzert wusste er folglich nicht, ob die vor Heulkrämpfen "zusammenbrechenden" Zuschauerinnen "A-ha oder der eigenen Jugend hinterweinten".

Mark Daniel hat am Wochenende im Centraltheater den Höhepunkten der diesjährigen Lachmesse beigewohnt: Georg Schramm und Bruno Jonas. "Böser, schärfer, anspruchsvoller geht es nicht." Kabarett, dieser possierlich anzusehende Hahnenkampf eines ungefährlich gewordenen, gackernden Geistreichtums, ist ja eigentlich so passé wie der unangreifbare Universalgelehrte oder, z.B., der Chefmaskenbildner der trivialisierten Mittel- und Unterschichten, von der es sich so preiswert distanzieren lässt: Neo Rauch. Bei allem Lob - das insbesondere der "Portion Tragik" gewidmet ist, das Georg Schramm seinen Figuren verleihe - resümiert Daniel: "Besuche bei Jonas und Schramm sind für Bildungsbürger schicke Adressen, um sich zu vergewissern, dass ihre Schicht noch existiert." Gut gebrüllt, Löwe! Und wie lautet Daniels Schlusswort? "Bravo!"

Ballett und Breakdance treten in Heike Hennigs Tanztheater "Zeitsprünge", einer Fortsetzung von "Zeit tanzen seit 1927", in einen bewegenden Dialog. Ältere "Damen und Herren" des Balletts, allesamt Jahrgänge 27 bis 43, sollten im Kellertheater der Oper auf "junge Tänzer" treffen, doch von den vier Alten war leider nur einer anwesend. Dennoch: Für Benedikt Leßmann blieb "dieses Stück stets spontan und leichtfüßig. Tanztheaterkunst, die berührt."

In Peter Korfmachers diestägiger Glosse "ausgepresst" macht sich der lvz Kulturchef über die Verleihung des Jacob-Grimm-Preises für deutsche Sprache an Udo Lindenberg her. In akrobatisch anmutender Sarrazinnachfolge moniert kfm zwar nicht die Selbstabschaffung Deutschlands, aber zumindest die der deutschen Sprache, "die in verstörter Demut der eigenen Abdankung" hinterherschaue. Erst musste Jacob Grimm ungefragt eine schmerzhafte Roman-Behandlung durch Günter Grass erdulden, und nun das. Udo gewohnt cool: "Mit der deutschen Sprache kann man jonglieren wie mit einem Kaugummi."

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