Mittwoch, 13. Oktober 2010

lvz kultur vom 13.10.10: Lachmesse, Droste, Ai Weiwei & Birgit Brenner

Noch fünf Jahre bis zur Rente. Dennoch lebt Arnulf Eichhorn, Chef der Lachmesse, mehr in der Vergangenheit als in der Gegenwart. Er denkt an den Aufbruch im Kabarett, den es in den 90ern gegeben hat, mit größerer Freude als an das diesjährige Festival. In seinem entspannten Gespräch mit Mark Daniel, das aus Anlass des 20. Jubiläums stark retrospektive Züge trägt, kann sich Eichhorn tatsächlich daran hochziehen, dass jemand, der 1991 noch Straßenkünstler war, heute Säle füllt. Als ob das Kabarett ein Hobby wäre. Schade, dass es keine Skandale gegeben habe, meint Eichhorn, eigentlich überhaupt wenig Bemerkenswertes. Es herrsche das "gesunde Maß", mit dem wiederum problemlos die Spalten der lvz gefüllt werden können. In der ein Komiker wie Wiglaf Droste dann mit Nichtbeachtung gestraft wird, sei es, dass er im Centraltheater bei Paoli auftritt oder in Horns Erben den Altrocker der Neuen Frankfurter Schule, F. W. Bernstein, begleitet. Dieweil Leipzig weiterhin der Mittelstand fehlt, versinkt die lvz gemeinsam mit der Stadt Leipzig im Mittelmaß. Der geistige Frührentner Eichhorn versucht, das sogar zu rechtfertigen. Wenn "Martha Müller aus Markkleeberg" im Zuschauerraum säße, könne schließlich keine Politsatire mehr geboten werden, da habe halt harmloser Schabernack die Bühne erobert. Darauf, dass der nicht überbordet, müsse allerdings und wirklich geachtet werden. Die Komikkontrolleure der lvz stehen bereit, jawoll! Mark Daniels zarte Entgegnung, dass Martha Müller vielleicht doch unterschätzt würde, verlängert Eichhorns Lamento an diesem Tag nur bis in alle Ewigkeit, zumindest bis die Guillotine des Artikelschlusses herabsaust.

Für diejenigen, die bei Theater der Welt in Stuttgart (und übrigens auch bei den 15. Werkstatt-Tagen 2006 in Leipzig) die Birminghamer Installationskünstler Stan's Cafe mit ihrer 150 Mio Reiskörner bespielenden Performance erleben durften, macht sich Ai Weiweis Installation "Sunflower Seeds" von 100 Mio gebrannten und angemalten Porzellan-Sonnenblumenkernen in der Londoner Kunsthalle Tate Modern fast wie ein harmloses Plagiat aus. Zehn Zentimeter hoch bedecken sie den Boden der Turbinenhalle - und weisen auf das wichtigste Nahrungsmittel in China hin. Dafür, dass Sponsor Unilever noch vor zwei Jahren Kekse mit Melamin verseuchter Bbabymilch in China produziert hatte, reagierte der Nahrungsmulti verhältnismäßig schnell und effektiv, indem es dem Regimekriker Ai Weiwei (bekannt aus Film, Fernsehen und Documenta) den Auftrag für die Londoner Installation gab.

In der ausgepresst-Glosse beschäftigt sich Nina May mit fremden Kulturen, der dpa, Lena und dem Eurovision Song Contest. Warum die führende deutsche Nachrichtenagentur nicht eine Düsseldorfer Theaterpremiere über ein Nazimassaker anstatt der Wahl des Austragungsortes für das finale Lena-Revival mit einer Eilmeldung bedachten, will der lvz Kulturredakteurin einfach nicht in den Sinn. Humor? Rheinisches Fremdwort. Allein das Wort Kleinzschocher (haben sich laut May auch um die Austragung beworben;) birgt noch nicht für karnevaleske Umtriebe, zumal nach Udo Ulfkottes Listung des Leipziger Stadtteils als zukünftigen Terrorbrennpunkt, Stichwort "Atlas der Wut". Darauf, dass in der Seehofernachfolge dessen Forderung nach einem Veröffentlichungsstopp für ironiefreie Texte in Glossen aufgegriffen wird, wartet man in der lvz allerdings vergebens. Wie lange kann der verpflichtende Humorunterricht für integrationsunwillige Redakteure just zu Lachmessezeiten denn noch hinausgeschoben werden? Stirbt der Humornachwuchs der lvz gar aus, fragt sich der geängstigte Leser und wartet auf die nächste TED-Unfrage, bevor aus seinem Herzen gar eine Mörder-Grube wird. Fragen über Fragen. Vielleicht bietet die Szähne mal ein Schülerpraktikum an? Frau May, was sagen Sie?

Humor, das ist für Meinhard Michael ebenfalls keine Kategorie, die satisfaktionsfähig wäre. Dennoch birst sein Text über eine Installation von Birgit Brenner in der Galerie Eigen + Art regelrecht vor Pointen. Herrlich sein Intro, in dem "gerade ein schuldloses Reh von brutalem Schwarz in Wandhöhe überwältigt" wird. Später schießen schalenwildjagende Ehemänner sich einfach in die Luft und behaupten: "Ist nur ein Film." Schön auch seine Erkenntnis, dass, wo nicht einmal Sehnsucht mehr wachse, zwangsläufig Unfall und Mord gedeihe. Michaels Sehnsucht nach Unglück und Scheitern ist jedenfalls mit Händen zu greifen, wohingegen er selbst im äußersten Versagen noch die Latte hochlegen will: "Allerdings ist der müde Verlierer kein Gegner. Sein Scheitern ist zu schwach, als dass 'unlebbare Verhältnisse' schuldig gesprochen werden dürften." Dann also lieber "Samstag, Sonntag trink ich durch. Ich mag es gern geregelt." Das war übrigens ein Zitat von Birgit Brenner. Phänomenal die Frau. Wer die Ausstellung, z.B. auf dem letzten Spinnerei-Rundgang, erlebt hat, weiß um die Komik von deren "Antihelden". Und doch: "Die Zeit lief einfach weiter." Verdammt klug, die Frau Brenner. Und voller - tragischem - Witz.

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