Donnerstag, 28. Oktober 2010

lvz kultur vom 28.10.10: Geld im Überfluss, le Carré, Richards vs. Garrett & Thalia-Schließung

Es ist schon kurios: Im sächsischen Haushalt gibt es im Etat für die Freien Schulen nicht abgerufene Mittel aus 2009 in zig-Millionen € Höhe, die als Rücklagen für möglicherweise verloren gehende Prozesse in 2010 bereitstehen. In 2010 selbst werden zusätzlich zu diesen etwa 25 Mio € noch einmal über 40 Millionen € garnicht erst abgerufen werden, wie Sven Heitkamp schreibt. Ob auch sie als Rücklagen in den großen Topf fließen, aus dem später - wenig hinterfragt - zusätzliche Haushaltsgelder verteilt werden, wenn sie für die möglicherweise verloren gehende Prozesse nicht gebraucht werden? Fragt sich nur, in welche Bereiche?
Klar ist, dass der Kultur und Jugendbildung und -hilfe mit einem Bruchteil dieser Summen über die drängendsten Sorgen geholfen werden könnte. Es wird wieder einmal deutlich, dass genügend - auch flüssige - Gelder in den Haushalten existieren, Einsparbeschlüsse sind in allererster Linie politische Prioritätensetzungen.
Noch muss der gesamte Kulturbereich der Städte und Gemeinden Sachsens, z.B. wegen der Androhung, Kulturraumgelder zu kürzen, über Schließungen an allen Ecken und Enden debattieren. Mit dieser Taktik wird insbesondere die Öffentlichkeit in einen Zermürbungskrieg geschickt, durch den sie auf alles gefasst sein wird.

Der 79-jährige John le Carré hat aus Anlass seines neuen Romans "Verräter wie wir" mit Andrej Sokolow gesprochen. Der Roman setzt sich mit dem Einfluss der russischen Unterwelt im Westen auseinander. Le Carré hütet sich aber vor einer moralischen Verurteilung der Russen. Denn nicht nur seine Heimat Großbritannien, der gesamte Westen verfolge eine doppelbödige Moral, indem es einerseits nach außen Menschenrechte hochhält, riesige Summen für Sicherheitbehörden ausgibt und trotzdem Gelder aus Waffenschmuggel, Menschenhandel, Drogenhandel, Erpressungen etc. willig ins Land lässt.
Was die "großen Herausforderungen" der Zeit angehe, seien "wir" gescheitert. Das beträfe den Fluss schmutzigen Geldes ebenso wie die zu "Organisationen der Selbstbereicherung" gewandelten Banken, die Ökologie wie der beginnende Kampf um Ressourcen. Woran es fehle, sei eine "internationale Ethik", das aber vermutlich schon seit Beginn der Geschichte.
Auf seine großen Hoffnungen angesprochen, die er anlässlich der Wahl Barack Obamas hegte, meint le Carré, dass er seinen "Glauben" an Obama noch nicht verloren habe, allerdings an "die Fähigkeit Amerikas, sich selbst zu regieren", schon. "Die Kommunikationsmacht der rechten Lobby ist schlicht beängstigend."

Britta Gürke schreibt über die Autobiographie von Keith Richard, in der er mit mancher Legende aufräume, was Drogen und Musik beträfe, aber zumindest eine neue schaffte, wo es um Sex geht. Richards Liebesleben sei alles andere als wild gewesen, schreibt der nun seit 30 Jahren mit Patti Hansen liierte Rolling Stone. Wie heißt der Titel seines Werks: "Das ist mein Leben. Glaubt es oder nicht".

Ein ganz anderes Kaliber als Womanizer scheint Stargeiger David Garrett zu sein, glaubt man Birgit Hendrich. Ob schulpflichtig oder pensionsberechtigt - in der Arena Leipzig lagen dem Rock-Symphoniker bei seinem Auftaktkonzert zur neuen Tournee alle weiblichen Herzen zu Füßen. Im Unterschied zu Keith Richards sei er sogar Single, die Damenwelt darf also träumen. Zumal er mit "schüchternem Lächeln"und Anekdoten über Schoko- und Hanutaschnitten sich als "netter Junge von nebenan" darzustellen vermochte - nur halt mit einer Zauberfidel.

An die 150 Menschen sind in Lindenau einer Protestkundgebung des Theaters der Jungen Welt gegen die beabsichtigte Schließung des Thalia Theaters Halle gefolgt, darunter viele Vertreter von Hochkultur und Freier Szene sowie Politiker. Intendant Zielinskis Schlusswort, "man lasse sich in der Frage des Kampfes gegen Kulturkürzungen nicht spalten" fand entsprechend Widerhall. In Halle fanden sich zu einer zeitgleichen Kundgebung augenscheinlich nicht mehr Menschen ein als in Leipzig. Dafür kursierte ein Offener Brief des designierten Schauspielchefs Matthias Brenner, in dem er Annegret Hahn vorhielt, die Schließung sei "nicht so plötzlich gekommen, wie dargestellt". Das muss man mit größerem Recht allerdings der Theaterleitung selbst vorhalten. Rolf Stiska, der die scheinbare Alternative "Insolvenz oder Thalia-Schließung" nur wenige Tage vor der entscheidenden Aufsichtsratssitzung vom 8.10. gegenüber der Presse bekanntgab, musste das drohende Defizit spätestens seit 2009 auf sich zukommen gesehen haben. Und hat nichts unternommen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen