Montag, 11. Oktober 2010

lvz kultur vom 11.10.10: 50 Jahre Opernhaus, Lichterfest, Precht, Grossman & Thalia Halle

20 Years After strahlt der 9. Oktober 1989 vor allem virtuell. Als Laserstrahl leuchtete das Datum am gestrigen nächtlichen Himmel und erlosch anschließend vor den Augen von 40.000 Menschen. Das riesige Auditorium nutzte OBM Jung für den Protest gegen die angekündigten NPD-Demonstationen am 16. Oktober.
Zeitgleich mit dem Marketing-Event Lichterfest feierte die Oper das 50-jährige Bestehen des Hauses am Opernplatz. Leider mit dem falschen Regisseur: Jochen Biganzoli. "Brav, farb- und hilflos" sei der überwiegende Teil des Ganzen, "selbstgefälliges Mittelmaß und behauptete Bedeutsamkeit" findet Peter Korfmacher. Dramaturgisch hänge die ganze Veranstaltung in der Luft. "Gemessen am Anspruch" sei das "Ergebnis ernüchternd". Bestenfalls.
In der Arena gastierten am 9. Oktober die Puhdys. Hendrik Schäfer entdeckte in ihrem Auftritt den "Glanz der Vergangenheit": "Eine Ode ans Gestern, ein Zeichen fürs Morgen." Vor ihnen spielte Renft seine neue CD. Angekündigt wurden sie als "irgendwie verboten und mysteriös". Sowas ist 20 Jahre nach 1989 irgendwie verbotene und mysteriöse Produktwerbung.
Richard David Precht hat ein neues Buch geschrieben: "DieKunst, kein Egoist zu sein". Precht kritisiert die gegenwärtige Ausrichtung auf das Materielle und dass der "soziale Zusammenhalt unserer Gesellschaft immer schlechter" werde. Interviewerin Karolin Köcher lockt den Wohlfühlphilosophen mehrere Mal mit direkten Fragen in die Enge. Ob Nasenspray mit dem Wohlfühlhormon Oxytocin gegen gierige Manager helfe, und ob Precht "komplizierte Themen zu populärwissenschaftlich" aufbereite? Precht konnte (?) oder wollte die Fragerin charmant beruhigen. Auf die letzte Frage, ob es ihn ärgere, gelegentlich als "Pop-Philosoph" bezeichnet zu werden, antwortete der Bestsellerautor: "Ich habe gar keine Ahnung von Pop. Ich höre fast gar keine Musik". Im Bürgerlichen Recht schützt Nichtwissen allerdings keinesfalls bei unrechtmäßigem Tun.
Der Abend des 9. Oktober ist derweil noch nicht erschöpft vor lauter stilisierter Selbstfeierei. Joachim Gauck feierte laut Janina Fleischer den Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels, David Grossman, als Mann, "dessen pure Existenz unserer ewigen Sorge, ob Leben gelingen kann", eine Antwort gebe: Ja. "Menschen können sich selbst noch angesichts von Willkür und Diktatur eine Bewegungsfreiheit erschaffen." 1989 hätte bewiesen, dass es "ein wahres Leben im falschen" gebe. Im übrigen, so Gauck mit Blick auf israelisch-palästinensische Prozesse, dürfe "Kritik nicht als Feindschaft ausgelegt werden."
In Gera inszenierte Anne Habermehl ihr eigenes Stück "Narbengelände". Ute Grundmann beschreibt den "gescheiten" Text als "leichtfüßig", von der Regisseurin in einem "kleinen, aber sehr feinen Theaterabend" mit "wunderbaren Schauspielern" und "beiläufiger Tragik" inszeniert. Wovon das Stück, ein "bitterer Ausflug ins alte Leben", handelt, wird leider nicht ganz deutlich. Das Stück spiele "vor und nach der Wende". Ein "Fluchtversuch", bei dem Marc erschossen werde, spielt ebenfalls eine Rolle. Es handele von "Menschen und ihren Verletzungen, über das, was sie aus dem bisherigen Leben mitnehmen in ein anderes, neues."
Erstmals äußert sich die korrekt wohl "ehemalige" Intendantin des Thalia Theaters Halle, Annegret Hahn, über die bevorstehenden Einsparpläne gegen ihr Theater. Resigniert befindet sie, dass "diese Arbeit nicht gebraucht wird, und unsere Angebote austauschbar sind". Was natürlich nicht stimmt. Denn das Thalia Theater hat stets für außergewöhnliche und vielfältige Angebote und produktive Unruhe ("Ultras") gesorgt. Aber warum äußert sie sich nicht früher? Und deutlicher?
Immerhin wird in unmittelbarer Nachbarschaft dieser Meldung ein positives Resümee der 17. Werkstatt-Tage am Theater der Jungen Welt gezogen. Der "erstmals unternommene Austausch aller regionalen Gruppierungen des Dachverbands ASSITEJ habe gezeigt, wie notwendig - angesichts im Raum stehender möglicher Schließungen des Jungen Schauspielhauses Hamburg und des Thalia Theaters Halle - eine länderübergreifende Kommunikation" der Theater sei.
Nach langen Verzögerungen ist am Samstag, 9.10., das Neue Schauspiel Leipzig mit der "Revue im Niemandsland" in der Lütznerstraße in Lindenau eröffnet worden. In seiner Eröffnungsrede sprach Kabarettist Mathias Tretter u.a. davon, dass "das NPD-Büro" in der Odermannstraße nun außer von "Theater der Jungen Welt, LOFFT, Musikalischer Komödie und all den Galerien" auch von einem weiteren "weltoffenen Nachbarn" umzingelt sei.

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