Donnerstag, 26. August 2010

lvz kultur vom 26.08.10: Bernhard Schlink, Gerhard Uhlig und die Nassrasur

Ulf Heise ist irritiert. In Bernhard Schlinks neuem Erzählband "Sommerlügen" fehle etwas. Heise meint: Glaubwürdigkeit. Und politisches Bewusstsein. Stattdessen: Versuchte Kunst am Text, Allgemeinplätze und schwache Männer. Das Ganze ergebe leichte Kost über Beziehungsgeschichten aus dem Wohlstandsmilieu, thrillerartig verpackt. Doch Schlinks "überschaubares Vokabular und die ständige Verwendung von Hilfsverben" langweilen. Das will Heise auch mit "Anleihen bei Ernest Hemingway" nicht wirklich schönerreden. Zumal - Überraschung! - in den Erzählungen immer wieder starke Frauen die psychischen Dellen ratloser Männer auszubeulen haben. Das Positivste, was er sagen kann: Schlink verbreite - in Fragen zwischenmenschlicher Beziehungen - keine "Hoffnungslosigkeit". In Dingen der Literatur augenscheinlich schon.
Einen fast schon vergessenen Leipziger Maler stellt Meinhard Michael vor: Gerhard Uhlig. Michel hat ihn aufgesucht, und begleitet nun journalistisch seinen Lebensweg von Leipzig ins westfälische Havixbeck, in dem er heute lebt. Dabei sucht Michael in formalen Strukturelementen von dessen Malerei Verbindungen zur damaligen und heutigen Leipziger Schule. Als Soldat flieht Uhlig vor den Russen, als Student vor handfesten Drohungen der neuen Machthaber, als er sich weigert, der malerischen Moderne (Klee, Kandinsky) das Etikett der Dekadenz umzuhängen. Die nur kurze Zeit an der Leipziger Kunstakademie - wichtigster Lehrer dort: Max Schwimmer - setzt er in München und Stuttgart (Willi Baumeister) fort. Seine abstrakten, aus kleinteiligen Modulen bestehenden Bilder werden in den 60ern langsam von schweren kubischen Formen abgelöst, die sich immer weiter in die Farbreduktion bis ins Schwarz-Weiße "hineinfressen". Dass seine "grafische Prägung" allerdings "ein Erbe der grafisch gesinnten Leipziger Kunst" sei, will Uhlig nicht bejahen.
Ein wenig Ordnung zwischen den Geschlechtern will Steffen Georgi stiften, indem er ein Loblied auf das letzte Residuum des Männlichen singt: Die Nassrasur beim türkischen, arabischen, russischen Barbier, wo sie "in würdevoller Schweigsamkeit" vollzogen würde. Georgi stellt eine Leipziger Renaissance dieser uralten Kulturtechnik fest, die selbstverständlich mit der "zunehmenden multikulturellen Prägung der Stadtlandschaft" zu tun habe. Frauen seien nun, seit sie den ehedem proklamierten Penisneid als Mumpitz erkannt hätten, allein dem Neid der Nassrasur verfallen, erkennt Leipzigs größter Psychoanalytiker seit Sigmund Freud. Während Männer sich im "Gefühl unendlicher Frische und Enspannung" suhlen dürften, sei dem weiblichen Geschlecht das Erlebnis der "Neugeburt" (Georgi!) als glatter Babypo auf ewig versagt - es müsse sich wohl oder übel mit dem Gedanken an den Tod abfinden, schlussfolgert vor solch bahnbrechender Erkenntnis kulturhistorischer Forschung auf die Knie gehend: athene.

2 Kommentare:

  1. Der oben beschriebene, aus Leipzig stammende und nun im Westfälischen lebende Maler, Graphiker und Fotograph heißt nicht Bernhard, sondern Gerhard Uhlig. Eine aktuelle Ausstellung ist zur Zeit in der Akademie Franz Hitze Haus in Münster zu bestaunen.

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  2. Oh, da ist mir doch tatsächlich ein nächtliches Missgeschick unterlaufen (in der Überschrift stands noch richtig) und Sie sind der erste, ders bemerkt! Danke. Wünsche der Ausstellung viele interessierte Besucher! athene

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