Montag, 31. Januar 2011

lvz kultur vom 31.1.11: Dschungelcamp macht faschistoid. Stumph. Braunfels. Academixer.

Die Rubrik „lvz feiert Geburtstag“ hat diesmal einen 65. und einen 90. zu bieten. Dazu ein dpa-Bericht über eine Trauerfeier, selbstverständlich der RTL-Dschungelkönig – nein, nicht auf den Medienseiten – , ein Film mit Sujet aus der DDR und – immerhin – eine Opernausgrabung in Gera/Altenburg.
Die 65 gehört zu „Volksschauspieler“ Wolfgang Stumph. Der souveräne, von Ironie getränkte Artikel von René Römer (chapeau!), der allerdings später rein im Biografischen verbleibt, mündet in der Anerkennung, Stumph habe eine Marke aus seiner Person gemacht. Und das nicht einmal zu Unrecht, denn zum einen hat er sich nie nur aus Marketinggründen ein besonderes Image (und auch keinen Manager) angeeignet, und zum zweiten, weil er eben ein phänomenaler Darsteller seiner eigenen Person gewesen ist, der die Namen seiner Figuren - in Alliteration zu seinem Namen – möglichst mit „St“ anfangen ließ: Strunz, Stubbe, Stankoweit, Steinhoff, Stahnke usw. Römer sieht in der Namenswahl sogar „die Identifikation mit den Problemen, Nöten und Gefühlen seines Publikum“ und resümiert: „Stumph amüsiert ganz Deutschland, wird zum Star, indem er einer aus dem Volk bleibt.“ Das zählt für den lvz redakteur mehr als sein Spiel selbst, an dem „Kritiker gelegentlich mäkeln“. Der als Amateur zum Kabarett gekommene Dresdner, der anschließend die Schauspielschule Ernst-Busch in Berlin besuchte, ist kurioserweise durch Indianerfiguren in Butterpäckchen aus dem Westen auf den Geschmack gekommen.

In ihrer Berichterstattung über das RTL Dschungelcamp kommt Nina May zu dem Schluss, man könne „nach zwei Wochen doch sagen: Ein leider sehr menschliches Verhaltensmuster ließ sich beobachten, die Entstehung von faschistoiden Systemen und Unterdrückung von Andersdenkenden.“ Sie meint die „Lektion in Sachen Mobbing für Fortgeschrittene“, nach der Sarah Knappik „freiwillig“ aus dem Camp gegangen worden ist. An der Hetze beteiligten sich nur der früh ausgeschiedene Rainer Langhans nicht, und ebensowenig der durch „Tränen und „kauzig-tollpatschige Art überzeugende“ spätere Sieger Peer Kusmagk. May warf RTL zudem vor, „durch die Auswahl der Beiträge“ wäre „ganz eindeutig die Wirklichkeit manipuliert“ worden. Dass diese Wirklichkeit selbstverständlich eine inszenierte gewesen ist, betonte May dann aber ebenfalls. Da eine Inszenierung von „Manipulation“ lebt, bzw. von ausgewählten, selektiven, konstruierten Bildern mit einem bestimmten Ziel, bleibt allerdings unklar, worin ihr Vorwurf liegt.

Der im Leben wegen angeblicher Kommerznähe häufig missgünstig behandelte und um seine Anerkennung gebrachte Filmemacher und Produzent Bernd Eichinger, hat im Tod plötzlich nur noch Freunde. So setzten am Wochenende laut dpa 35 Filmschaffende jeweils halbseitige Todesanzeigen in überregionale Zeitungen („Wir haben einen Freund verloren“).

In der Glosse „ausgepresst“ schreibt Nina May über „die unverstandenen Künstler“, bzw. darüber, dass ihr Publikum zu seinem eigenen Wohle von den Kunstwerken ferngehalten werden müsse. Das betrifft den Chinesen Ai Weiwei und dessen 200 Millionen Sonnenblumenkerne in der Londoner Tate Gallery (der Bleigehalt der Porzellankerne sei zu hoch), aber auch einen namenlos bleibenden Plastiker aus Rumänien, dessen im Straßburger Europa-Parlament ausgestellten Werke den angestrebten Beitritt Rumäniens zur grenzkontrollfreien Schengen-Zone „negativ beeinflussen“ könnten – und daher „zurückgezogen“ würden.
Zuletzt hatten zum Beispiel Marcel Walldorfs Plastk „Pinkelnde Polizistin“ in Dresden, aber auch Jan Liedkes Inszenierung „Ultras“ in Halle/Saale Politiker (darunter Sachsens Innenminister und Halles Oberbürgermeisterin) zu teils sehr heftigen Reaktionen veranlasst.

Annett Gehler schreibt über Dreharbeiten zum Film „Sushi in Suhl“, in dem die Geschichte des einzigen japanischen Restaurants in der DDR verfilmt wird. Das privat betriebene Restaurant wurde von DDR-Oberen dazu genutzt, japanische Wirtschaftsdelegationen, Promis und verdiente Genossen zu verköstigen. Normalbürger warteten bis zu zwei Jahre auf einen Platz in dem Restaurant.

Walter Braunfels' 1913 geschriebene Oper „Ulenspiegel“ ist am Theater Gera/Altenburg reanimiert worden. Peter Korfmacher schrieb über eine Aufführung, die vom Publikum „mit ungeteiltem Jubel“ bedacht wurde. Braunfels' Musik sei „sinnlich, gut, dramatisch, im „reizvollen Niemandsland zwischen Wagner-Epigonentum, Strauss-Konkurrenz und eigener Moderne“ angesiedelt. Leider bleibt Korfmacher etwas dürftig darin zu beschreiben, worum es sich bei der Oper überhaupt handelt. Außer, dass der als Schalk bekannte Eulenspiegel „zum tragischen Freiheitskämpfer im spanische-niederländischen Krieg“ gemacht wird, erfährt man weder etwas zur Geschichte und warum die Oper möglicherweise vergessen wurde, noch über die Inszenierung Matthias Oldags, außer dass sie „eindrucksvolle Bilder“ fände für die „Beziehungen zwischen den Hauptfiguren“. Auch über die Wiederentdeckung Braunfels' anderenorts hört man bei Korfmacher wenig, zumindest nicht darüber, was dessen Opern für die heutige Zeit zu sagen haben. Dem lvz redakteur reicht der kulinarische Anteil der Musik als Begründung und mäkelt allein an manchen Sängern und vor allem am Dirigenten Jens Tröster („man hört seinem Orchester die Schwierigkeiten der Partitur allzu ungeschönt an“, Unzulängliches geschähe im Graben „mehr, als eine Ausgrabung verträgt“).

Über den Schweizer Dichter (und Pfarrer) Kurt Marti schreibt Peter Mohr. Der als „Dreiviertelkommunist“ beschimpfte Dichter verlor sogar einen in Aussicht stehenden Lehrstuhl wegen seiner „unangepassten Querdenkerei“ im Sinne von „Zivilcourage und aufklärerischer Nächstenliebe“. Eines seiner Gedichte endet mit den Versen: „Liebe Gemeinde/ wir befehlen zuviel/ wir gehorchen zuviel/ wir leben zu wenig.“

Mark Daniel schreibt über das neue Programm der Academixer, in dem neue Darsteller (Thorsten Giese, Angela Schlabinger, Stefan Bergel) das bekannte Stammpersonal ergänzen und ein „neues Profil eine jüngere Klientel“ anlocken soll. Die „Spielidee“ des Programms sei, dass die Mauer zur anderen Seite „gefallen“ und der Westen dem Osten beigetreten sei. Daniel lobt, dass „die Realität mittels Absurdem oder einem Gegenentwurf auf eine kunstvolle Ebene“ gehoben würde (dass das Publikum zum Skandieren von Parolen „genötigt“ würde, gehört für Daniel nicht dazu), leider schwächeln nach der Pause die Texte, entweiche dem Stück „die Luft“. Insgesamt würden wohl „ein paar Schritte Richtung Neuorientierung“ getan, „zur Unterhaltung, die auch gehobene Satire bietet, sei es allerdings ein weiter Weg.“

Gesa Vollands Tanztheater „Coppe Lia“, das im Lofft Premiere hatte, beschreibt Steffen Georgi als „episodische Reflexion darüber, was mechanisch und menschlich – und darüber, was schön“ sei. Darüber, dass es „natürliche Schönheit“ nicht gebe, sondern immer ein Konstrukt und etwas Künstliches sei, hätte schon Dolly Parton Entscheidendes gesagt. Die sieben Tänzer, drei von ihnen im Rollstuhl, agierten mit „unprätentiöser Selbstverständlichkeit“, wenn auch stellenweise „ohne Biss“, und manche Textpassage vom Band wirke „auf Dauer etwas verplappert“. Dennoch entdeckte Georgi auch „perfide Schönheit“, wenn eine Tänzerin die Spasmen eines der Rollstuhlfahrer in ihren Bewegungen fortsetze, diese also „spielt. Eine heikle Szene, die aufgeht, weil ihr alles Schrille fehlt.“ Und – so schließt Georgi hübsch paradox – auch, weil auf dieses Bild ein „tolles, berührendes“ Schlussbild folge, das „natürliche Schönheit“ zeige. „Auch, wenn es die gar nicht gibt.“

Ulrich Milde berichtet im Lokalen, dass die Stadt wie angekündigt eine Klage gegen die Novellierung des Kulturraumgesetzes vorbereitet. Reichlich distanziert verweist Milde auf die Wahrscheinlichkeit, mit der die Einreichung die Hürde des Leipziger Stadtrats passieren wird sowie die Kosten von ca. 20.000 Euro. Und auch darauf, dass der Leipziger Landtagsabgeordnete Robert Clemen noch einmal darauf verweise, dass Leipzig „trotz der Reduzierung mit 29 Mio Euro den Löwenanteil der gesamten Kulturraumförderung Sachsens von 85 Mio Euro“ erhalte. Was, wie auch längst in der lvz zu lesen war (11. Januar), nur eine äußerst einseitige Version der Wahrheit darstellt. Denn Dresden als andere sächsische Großstadt erhält Landesmittel für die in Dresden befindlichen Kunsteinrichtungen in Höhe von weit über der doppelten Summe wie Leipzig und annähernd so viel wie die Kulturräume insgesamt. Da Semperoper, Kunstsammlungen und anderes aber als Landesinstitute direkt aus dem Sächsischen Landeshaushalt gezahlt werden – die dieses Jahr nicht gekürzt, sondern um etliche Millionen erhöhte Zuschüsse erhalten! - und nicht via Kulturräume, kann Clemen so tun, als würde Leipzig weiterhin große Segnungen aus Dresden erfahren. Perfide.

In seinem „Standpunkt“ schreibt Ulrich Milde dazu, dass in Leipzig nur über die verringerten Zuweisungen aus den Kulturraumgeldern geredet würde und nicht über die eine Million Euro, die Leipzigs Kultur im kommenden Jahr einsparen müsste. Während die geringeren Kulturraumgelder „ans Überleben der Kultur“ (S. Hartmann) gingen, würde über die Leipziger Sparmaßnahmen von Seiten der Hochkultur geschwiegen, die Klage gegen Dresden stelle mithin ein Ablenkungsmanöver dar. Nun ist der verringerte Kulturraumzuschuss kein Sparbeitrag, als den ihn Milde erscheinen lassen möchte, sondern entsteht durch die Auslagerung der Landesbühnen Sachsen in die Kulturräume bei gleichzeitiger Anhebung der Etats für Oper Dresden, Kunstsammlung und anderes mehr in Millionenhöhe (!). Also eine einseitige Bevorzugung von Dresdens Kultur zuungunsten der Leipziger und der der restlichen sächsischen. Andererseits ist bei der Leipziger Kürzung noch überhaupt nicht abzusehen, wo gekürzt wird, außer beim Naturkundemuseum. Und dass Leipzig das Wasser bis Hals steht, weiß sicher jede ihrer Einrichtungen. Leipzigs geplante Kürzungen, sofern sie denn kommen, wären daher von ganz anderer Glaubwürdigkeit.

Dass Milde sogar mit einer Kampagne droht, wenn Leipzigs Kultureinrichtungen nicht „mehr als bisher auf die Wünsche der Bevölkerung eingehen“ ist die zweite massive Angriffserklärung: „Denn sonst fangen die Debatten an, ob es nicht sinnvoller ist, eine Schule oder Straße zu sanieren, anstatt jede Opernkarte mit über 200 Euro zu subventionieren.“

1 Kommentar:

  1. Zu Eichinger: Empfehle den Beitrag "Ein Nachruf auf seine Gegner" von Frank Schirrmacher in der FAS vom 30.1.2011.

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